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«Die tongue tongue Hongkong ist ein Label, das ich 1993 in Berlin gegründet habe», schreibt Petra Coronato in einem Grundlagenpapier, «und das seither um eine Generalvertretung für Österreich (1995) und eine für die Schweiz (1998) erweitert wurde. Gleichzeitig steht tongue tongue Hongkong als Gesamttitel für ein Romanprojekt, das ich 1993 begonnen habe und von dem Teile seither sukzessive an verschiedenen Orten in unterschiedlicher Form veröffentlicht wurden. Das Label ermöglicht eine Zuordnung auch dort, wo Texte nicht unter meinem Namen erschienen sind. Weil es sich bei den bisherigen Arbeiten um sehr unterschiedliche Textsorten handelt, ist der Zweck des Labels auch, die sehr disparaten Texte in einen formalen, aber noch nicht vollständig bestimmten Zusammenhang zu bringen. Es verbirgt sich dahinter jedoch kein Autorenkollektiv, wie manchmal vermutet wird, ich schreibe alle Texte selbst. <<<

Die tongue tongue ist ein Textsystem, das an der Peripherie in andere Formen übergehen kann. Obwohl monomedial angelegt, kann sie das, weil sie die Welt nur als einen einzigen Text auffasst, der seinen Modus ändern, aber nicht aufhören kann, eine digitale Angelegenheit zu sein. Text, Lautsphäre und Bild sind Variationen ein und desselben und unterscheiden sich nur nach .txt oder .wav oder .bmp Dateien. Kein Problem für tongue tongue, etwa outdoor gefundene .wav und .bmp in .txt zu konvertieren, oder umgekehrt text in bild oder audio umzusetzen, oder, sweet und lazy, einfach alle das sein zu lassen, was sie sind. wird nämlich viel zu anstrengend, wenn du bedenkst, dass es bei tongue tongue keine zwei gleichen texte gibt, und wenn ein text seinen modus wechselt, dass er danach nicht derselbe txt noch einmal ist, so entstehen wucherungen und ausformungen, versionen, die sich einstweilen jeder regelung entziehen, das system, die ganze konstruktion, heavy stuff, wie internationale finanztransaktion, sag ich dir, kumpel <<<

Ein System, das unter den Bedingungen der Multimedialität überleben will, muss einfach und stabil gebaut und zugleich zu hoher Komplexität fähig sein. Der multimediale Hypertext kann Kapriolen schlagen wie er will, wenn er sich unter einige wenige strenge Regeln stellt. <<<

Das bei Ritter Klagenfurt 1997 erschienene Buch Ex.ex. maggi, Pneumatische Strategie (323 S.), ist die Druckversion eines Hypertextes, der nie im Netz gewesen ist. Wer ihn ins Netz stellen will, kann sich bei tongue tongue bewerben und bekommt dreimal die Ehrennadel «Goldene Überstunde» verliehen. <<<

mailto:tongue@ipn.de <<<

 

Storyspace ist mittlerweile die Standardsoftware für Hyperfiktionen geworden, vertrieben vom kleinen Literaturverlag Eastgate bei Boston, bei dem auch ein Grossteil der anspruchsvollsten Interaktivliteratur erscheint. Denn die gibt es nicht im Netz, als freebie, sondern nur als teuer bezahlte Diskette, nein, längst gibt es eine javabasierte Version im netz, weshalb storyspace hyperfiction aber vielleicht immer noch keine netzliteratur ist, sondern ein computerspiel. Beständig verändert sich der Text, als sei er einer dieser bibliophilen Alpträume von Borges. Der Leser bewegt sich durch den Text so, als ob er ihn selber erinnern würde, jetzt wird die Story geschrieben, vermeldet der Computer in schmeichelhafter Übertreibung, words, that yield, also «Wörter, die auf sanften Druck nachgeben», sind nicht durch Farben oder Unterstreichungen markiert, sondern wollen intuitiv erahnt werden. - na, das ist prima, da hat unser anfänger doch in jedem wort der story was zum anklicken - Durch dieses Überraschungsmoment und dadurch, dass das Programm auch von sich aus neue Seiten präsentiert, gleicht das Leseerlebnis im Geschichtenraum einer Wanderung durch verwinkelten Erzählraum voller Zirkelschlüsse, Tapetentüren und Sackgassen. Dieser Raum ist kein bunter Cyberspace, flirrend von Sensationen. Er ähnelt eher einem puritanischen Klassenzimmer, geweiht der Konzentration und Selbsterkenntnis. <<<

Fügen wir an: auch der Wiederholung geweiht wie im Klassenzimmer, der arme Leser muss den Lateinunterricht am Bildschirm schon sehr lieben. Da war es doch in der chinesischen Schule, die wir besucht haben, viel lustiger. Im Fenster des Klassenzimmers standen die kleinen Holzgewehre, am Pult des Lehrers lehnte ein leichtes Spielzeugmaschinengewehr. Die Lehrerin unterrichtet Rechnen. Drei amerikanische Bomber greifen an, danach noch einmal sieben. Wieviele Bomber greifen also an? Nachdem sie die richtige Antwort bekommen hat, nimmt sie das Maschinengewehr, zielt auf die Flugzeuge an der Tafel, drückt ab, und rote Funken sprühen. Sie nimmt neun Flugzeuge weg und fragt: Neun abgeschossen, wie viele bleiben übrig? <<<

Die Grenze liegt bei etwa 1500 Wörtern, vier bis fünf Buchseiten, das sind maximal köstliche wieviel minuten lesezeit, die guthonorierte lesung war auch schon das ganze buch, alles, was länger ist, liest auch der Lateinschüler am Bildschirm nur im Notfall. <<<

Ist Netzliteratur wie für besonders Eilige geschaffen, exakt so eilig, wie das Werk des Briten Douglas Gordon in der Corderie. Es heisst zutreffend «Text für 30 Sekunden» und lässt für diese Zeit den Bericht eines Mediziners vom Anfang des Jahrhunderts erscheinen. Noch 30 Sekunden lang, so ist da - in aller Eile - zu lesen, habe der Kopf eines frisch Guillotinierten blinzelnd reagiert, als der Forscher ihn mit Namen brüllte. Danach war der Delinquent endgültig nicht mehr ansprechbar. Text in Echtzeit, da hat jemand hautnah den Text beobachtet, und im Text die Welt, hat die Welt aus dem Text geholt, das war der Textweltenforscher. <<<

Text entsteht durch eine Transformation, deren wesentliche Merkmale Beobachtung, Wiederholung und Aneignung sind. Netzliteratur beobachtet das Netz und beobachtet die Literatur, es muss ihr eines Tages gelingen, die beiden Systeme, die von sich aus nicht miteinander kommunizieren können, kompatibel zu machen. Netzliteratur ohne Netzreflexion missbraucht das Netz als Topf, und dann ist es wie im Märchen, der Topf rächt sich, indem er die schöne Literatur in hässliches ekliges langweiliges Netz verwandelt. Du kannst es selbst sehen, hier an diesem Text. Gehe zu der Einfügung «Landgoldnudeln», das war eine schöne, einprägsame Werbung, doch kaum war sie im Netz, war sie auch schon tot. Wir entschuldigen uns für dieses kleine Missgeschick und hoffen, lieber Leser, du bist über diese kleine textleiche einfach hinweggesprungen, ohne dich auf der anderen seite umzudrehen und zurückschauen zu wollen. jetzt, wo du schon den weiten weg bis hierher mit uns gegangen bist, können wir es dir sagen: Landgoldnudeln hätte nicht einfach den modus von offline zu online wechseln dürfen, Landgoldnudeln ist online irgendwie merkwürdig offline geblieben, hat es nicht ganz geschafft, der gute, ist irgendwo ein bisschen hinterherhängend, Landgoldnudeln hätte mehr input gebraucht, um auch noch den digitalen modus zu wechseln, hätte nicht .txt bleiben dürfen. wir werden das versäumte später mit einem real video nachholen. <<<

Eines Tages meint, dass es jetzt mit der netzliteratur noch nicht sehr weit fortgeschritten ist. auch tongue tongue befindet sich noch auf der stufe der mail-literatur, was offline ungefähr der stufe briefroman entspricht, eine höchst konventionelle form, die zu recht nicht gerade als gipfel der dichtkunst angesehen wird. ein bescheidenes mahl, und tongue tongue will sich hier an dieser stelle dafür entschuldigen und dem lieben leser zum trost ein kleines platon sample schicken: In Wahrheit, du Guter, wir befinden uns in einer höchst schwierigen Untersuchung. Denn dieses Erscheinen (phainestai) und dieses Scheinen (dokein), ohne es zu sein, und dieses Sagen zwar, aber nicht Wahres, alles dies ist immer voll Bedenklichkeiten gewesen schon ehedem und auch jetzt. (Soph 236 d,e) <<<

im 1. grundschulzeugnis von petra coronato stand der satz: ist aufmerksam, kritisch und arbeitet gut mit, sollte sich jedoch noch mehr der gruppe ein- und unterordnen. mit dieser an sich nicht mehr unbedingt notwendigen bemerkung verabschieden wir uns für jetzt vom lieben leser, morgen in der zeit zwischen 11 und 12 wieder user support, heute fertig, jetzt geschlossen <<<

nur der netzjunkie sollte jetzt noch weiter und die nacht durch machen, hierher mein freund, dort gingst du raus zum schein, hier wirste gleich wieder drinne sein, hinter den kulissen geht es weiter, aufgeräumt und heiter immer weiter, hier netzjunkie, sind gerade frisch aus der digitalen röhre die nächsten gottverdammten FAQs gekrochen, die wirst du jetzt mal schön der reihe nach eintippen, hier müssen daten mit daten überschrieben werden, ist das netz gefährlich, todesdrohungen, gefolgt von verhören in polizeistationen, häufig werden schriftsteller auf der strasse von einem anhaltenden autofahrer zum einsteigen gezwungen, bei stundenlangen fahrten auf der autobahn ermahnt, ihre gedanken im zaum zu halten, oder sie werden in hotels zitiert und massiv eingeschüchtert, hier ist beschleunigter einsatz am netz palimpsest notwendig, wenn du es nicht schaffst, musst du die festplatte abkratzen und noch einmal vorne beginnen <<<

schaffst du es aber, dann nichts wie anwendung gestartet, zwölf kämpfer stehen zu deiner verfügung, von denen jeder neben den üblichen schlägen, tritten und würfen natürlich auch seine persönlichen spezialattacken besitzt <<<

tipp schneller, genosse, ist das netz die struktur, mit der wir den nächsten krieg überleben werden, wer nicht im bunker sitzt, hat hausarrest, wer nicht hausarrest hat, ist behindert, erinnert sich tongue tongue netz seiner entstehungsgeschichte, seiner aufgaben und tugenden, ist denn nicht sommer, der himmel blau und die wolke weiss? was ist los auf den palmeninseln der südsee? einmal wollen wir doch nach draussen.»

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