Sexklusivknatsch. Eine Polemik mit einigen Klammern.

Oder dann halt: Jetzt ist es so weit, ich schreibe eine Rechtfertigung

Von Matthias Kuhn

 

 

«Schön, aber nicht aufregend.»
Irgendwo in ner Zeitung, keine Ahnung mehr wo.

«Georg: Was macht die Kunst? Zufrieden?
Helen: Kunst, ja? (tippt sich an die Stirn.) Hier! Plpp!
Kunst machen die, ja? Kunst ist was anderes.
Das ist keine Kunst, was die da machen. Alles blutige Laien.»

Botho Strauss, Der Park. Der hats schon lange gewusst: 1983.

«Oder ist das eine Täuschung? Sollte man erneut jenem fatalen Irrtum erlegen sein, die Kunstwelt mit der realen Welt gleichzusetzen?»
Hans-Peter von Däniken, Tages-Anzeiger, 16. Januar 2002.

 

 

Nur als Einleitung: «Ich dachte diese Onaniertechnik sei schon abgelutscht.» Wer den Artikel «Exklusivklatsch» im St. Galler Tagblatt vom 11. Januar 2002 gelesen hat, weiss, was der Künstler Frank Keller meint: Da haben sich ein paar Künstlerinnen und Künstler verbal mächtig einen runtergeholt. Selbstverblendet und -eingenommen. Nicht nur, dass sie nichts zu sagen hatten, nein, sie haben es auch noch genossen, nichts zu sagen (zu haben). Sie haben nicht nur leere Phrasen gedroschen, haben sich um jede verbindliche Aussage, jede Schlussfolgerung gedrückt, nein, sie hatten auch noch ihren Spass daran. Das geht zu weit. Es ist konzeptlos unanständig. Es ist zum Heulen. Der Leserbriefschreiber schreibt unmissverständlich: «Inhaltlich hat sie [die Zeitungsseite] mir höchstes Unbehagen verursacht. So was Langweiliges habe ich schon lange nicht mehr gelesen.» (Jetzt pass aber auf, interessant: Die Anschuldigungen standen ja nirgends: habe ich mich jetzt so gut eingefühlt in den Mailschreiber? Oder was ist hier passiert?)

 

Star sein, ist nicht lustig.

Langeweile und inhaltliches Unbehagen, mal sehen: da gäbe es doch vielleicht noch etwas dazu zu sagen: Was die Kunst macht und machen kann, wie Kunst sich orientiert, Blödsinn: Wie die Künstlerin und der Künstler sich orientieren, welche Strategien sie entwickeln, ist das Thema des Artikels.
(Das nur im Klammer: Dass die richtige Strategie zur Berühmtheit führen muss, ist ein alter Traum: Für die künstlerische Arbeit aber unwichtig. Sogar wenn das Thema dieser künstlerischen Arbeit dieses ist: Ein Star zu werden. Es geht dabei ja immer noch um ein künstlerisches Konzept. Das doch mehrheitlich von Insidern rezipiert werden dürfte: Das ist das Problem. Und darum ist es auf diese Weise nicht zu realisieren. Und das Berühmtwerden ist allenfalls eine Begleiterscheinung. Ein Star ist erst ein Star, wenn ihn jeder zweite kennt. Oder man wird eine Star «wenn die Person zum Produkt wird», oder umgekehrt sowieso. Aber das hatten wir schon. Und auch die Frage: Was es überhaupt bringt, ein Star zu sein. Nicht fürs Lebensgefühl, sondern für die Arbeit. Weil ein Star sein, ist nicht lustig, da herrschte doch Einigkeit. Lustig wäre es nur, wenns «vielleicht noch ein bisschen Spass machen kann». Aha. Blödes Thema.)

Das Unternehmen «Exklusivklatsch» hat zwei Ebenen. Die erste ist ein Artikel im St. Galler Tagblatt vom 11. Januar 2002, dessen Inhalt: was man liest, wenn man die Zeitungsseite vor sich hat. So einfach ist das.
(In Klammern: Der Artikel ist vielleicht auch einfach zu lesen. Viel Klatsch, heisst: Belanglosigkeiten, aus denen wir ein Bild konstruieren - immer vorausgesetzt, wir mögen den Artikel lesen und denken ein bisschen herum - von den Personen, von den Themen. Das führt uns vielleicht zu einer günstigen Meinung, vielleicht zu einer ungünstigen. Vielleicht ist alles ganz leicht, macht Spass beim Lesen, die eine oder andere Anregung auch, Fussball hin oder her, vielleicht denken wir nachher: So ein Bocksmist, das bringt ja nun rein gar nichts. Kann man nichts machen. So ist das eben.
Der Artikel dreht sich im Kreise: alle Gesprächsfragmente führen sofort ins Off. Sie wurden genau nach diesem Gesichtspunkt ausgewählt, sollten nichts anderes zeigen als genau dies. Die Diskussion dreht sich im Kreise: wenn man sich die Fragen so stellt, wie sie der Artikel eben gestellt hat. Die Universität wusste keine Antwort, die Künstlerinnen und Künstler auch nicht. (Der Leser André Gunz übrigens auch nicht: Klammer in der Klammer. «Beim Versuch, über Kultur zu diskutieren, muss man auch das Risiko eingehen, sich zu übernehmen.» Übernommen? Kann mir nicht recht vorstellen, was das heissen soll: Ziele zu hoch gesteckt, und nicht erfüllt wahrscheinlich. Dann hat er doch besser gelesen als er im Interview zugegeben hat: für diese Diagnose. Sonst blufft er. Und: «Die Diskussion widerspiegelt wohl die Unsicherheit, Unklarheit der Künstler über ihre Stellung und Aufgabe in der heutigen Zeit und Gesellschaft.» Interessanterweise wird aber genau in dem zitierten Interview mit Gunz vor allem auch dies klar: der Kulturbeauftragte der Stadt weiss auch nichts. Er hatte die «anregendsten Kulturerlebnisse» in den Achziger-Jahren. Bisschen dürftige Voraussetzungen für die Kulturdebatte, die sich der Mann so sehnlich wünscht: heute, 2002. Ist sich vielleicht auch einfach unsicher über seine Stellung und Aufgabe. Was weiss ich.))

 

Flexible Formate zum Beispiel: Auf der Suche nach neuen Räumen.

Die andere Ebene ist: der Auftritt einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern mit einem Artikel im St. Galler Tagblatt: also das, was hinter dem Artikel steckt, das (künstlerische) Konzept. Waren ja schliesslich Künstler und Künstlerinnen, die sich da gemeldet haben, keine Journalisten. Kann man schlecht trennen: Kunst und Leben (und was eigentlich daran Beruf ist, ist schwer zu beantworten, selbsternannt oder nicht. Auch ein Leserbrief). Eigentlich auch ganz einfach zu begreifen.
(Nur kommt jetzt die Schwierigkeit, Klammer auf: Weil diese Ebene nicht zu lesen, sondern nur zu denken ist, wirds komplizierter, braucht man vielleicht auch ein bisschen Wissen, oder Erfahrung, oder Offenheit: «gegenseitiges Interesse und Respekt». Also: Vielleicht beginnen wir hier im Gespräch mit einem einfachen Satz: «... ich mache [...] Konzepte [...] ortsbezogen für einen Raum.» Das Konzept ist klar: Artikel im Tagblatt, Tagblatt als Plattform, statt Ausstellungsraum vielleicht: eine Art öffentlicher Raum. Flexible Formate zum Beispiel: Auf der Suche nach neuen Räumen. Tönt ein bisschen wie Amundsen am Südpol. (Nur hatte es der schon 1911 hinter sich gebracht.) Die Verbitterung über die institutionelle Lage ist ein Spiel, andere Konzepte und Strategien müssen her: Kunst ist ja auch nicht mehr auf Keilrahmen aufgezogen und an die Wand zu hängen. Wieso also den Museen nachtrauern? Wieso nicht das Tagblatt benutzen: Parasitäre Strukturen. Das ist der Zusammenhang. So spannt sich das Ganze auf. Und das ist nicht neu (um jetzt nicht wieder mit den Situationisten anfangen zu müssen): nur mal wieder brandaktuell, das ist alles.

Oder so: «Aber da steckt ja ein ganzes Konzept, eine ganze Story dahinter, wie es dazukam. Vielleicht weiss das der Betrachter [oder sagen wir: die Leserin/der Leser] gar nicht. Also müsste das im Prinzip für diese Arbeiten mitvermittelt werden. Oder kann man sich das schenken in dem Moment?» - «Gute Frage!» Es ist anzunehmen, dass die Leserin und der Leser nicht alles selber merken - dass sie gar nichts merken, ist allerdings auch wieder nicht zu befürchten. Schliesslich interessiert sie eine Sache: die Kunst. (Die andern Leser/innen interessieren dann wieder den Künstler nicht.) Und es interessiert sie vor allem, worauf denn nun die Künstler heute kommen, wenn sie versuchen so ein bisschen an den Grenzzäunen zu wackeln. Oder wenn sie versuchen, mit den Köpfen ein bisschen gegen die Kugelinnenfläche zu stossen. Als Kugel hat Tobia Bezzola an der Uni im Dezember das hermetische Betriebssystem Kunst beschrieben. Demnach spielt sich die Kunst im Innern einer Kugel ab, auf deren Oberfläche das wirkliche Leben stattfindet und an deren Periferie, an der sich eben die Künstler die Köpfe eingestossen haben, die Vermittler herumrennen, um zu vermitteln. Oder zu missionieren, eigentlich. Schönes Bild. Nur ist jetzt die Frage, was denn wackelt, wenn man stösst? Das ist nicht leicht zu beantworten: Denn man muss das Wackeln ja wahrnehmen. Sonst wars keins. Siehe Berkley.)

 

Mit einer klaren Antwort: ist die Diskussion am Ende.

Auf der ersten Ebene entsteht der Eindruck, bei «Exklusivklatsch» drehe sich ein Gespräch zwischen vier Fachleuten im Kreis, vier Direktbetroffene wüssten nicht mehr weiter und fragten sich mehr oder weniger verzweifelt, was denn nun an diesem Punkt zu tun sei: wo sie nicht mehr weiter wissen. Das geht bis zur Idee, mit einem Flugzeug ins Museum zu crashen. Zynismus beiseite: So schnell wird aus einem Trümmerfeld keine Ausstellung. Ebenenwechsel: Die Beteiligten wissen nämlich was zu tun ist und auch die tausenfach gehörte Generalklage von den schlechten und uninteressanten Auftrittsmöglichkeiten (und überhaupt die Frage: Was soll das alles?) relativiert sich hier: Sie veranstalten zum Beispiel ein Gespräch und publizieren es im St. Galler Tagblatt. Soviel zum Thema: Flexible Formate. Wenn das Gespräch sich noch um flexible Formate dreht, und durchaus auch um die Schwierigkeit, sich als Künstler/innenperson flexibel zu verhalten (Stichwort: Rollenflexibilität), erschliesst sich das Ganze auf einer weiteren Ebene. Keine Ausrede zur Ehrenrettung. Im Gespräch ist die Rede davon: Neue Formate generieren und vorhandene Strukturen parasitär nutzen. Das mit den Formaten ist klar (siehe oben), aber parasitär?
(Klammer: Es ist mit den Antworten so eine Sache. Ich meine: wenn man eine Sache beantworten kann, mit einer wirklich klaren, einleuchtenden, eindeutigen Antwort: ist die Diskussion am Ende. Das Resultat gewissermassen sinnbildlich doppelt unterstrichen und alles ist klar. Bei den Fragen um die es hier geht, ist das naturgemäss anders: Antworten und Lösungen müssen gesucht werden, soviel ist klar. Da aber nie ein Resultat vorliegen wird, geht es doch wohl eher darum, die Antwort(en) einzukreisen, Möglichkeiten auszuprobieren, Ansätze zu formulieren: die dann zwar Mehrdeutigkeit und damit Missverständnis produzieren, aber vor allem die Diskussion eröffnen und nicht abschliessen. So ist das: Definitionen sind unerwünscht. Auseinandersetzung ist das Ziel. Es geht um Konstruktion, nicht um Destruktion.)

Nur damit Sie nicht immer noch denken, dass damit alles gesagt sei. Vor allem nicht zur Frage: Was ist Kunst? Oder, «was Künstler tun, gerade weil sie Künstler sind. Und ob das, was Künstler machen, irgendeine Relevanz hat. Für irgendwen. Oder ob man nicht genauso gut Fussball spielen könnte.» Und über das Publikum sowieso nicht. Es gibt nur eines: die «permanente Erörterung» all dieser Fragen.
Und da sind die Künstler schliesslich nicht die einzigen, die sich diese Diskussion wünschen. War im St. Galler Tagblatt vom 19. Januar zu lesen. Schon wieder: Vom Exklusivklatsch direkt zum Kulturbericht. «Eine Debatte über den Bericht hat bisher kaum stattgefunden. Sind alle satt, zufrieden - oder will sich niemand exponieren?» Frage. Antwort: «Beides trifft zu. Der Zustand der Kultur in der Stadt ist sicher nicht alarmierend. Ich hätte allerdings schon erwartet, dass sich noch andere zu Wort melden. Aber für eine offene Kulturdebatte braucht es auch ein Klima des gegenseitigen Interesses und Respekts. Das vermisse ich ein wenig.» Also. Diskutieren.
Weil diese Bemerkung - irgendwo mitten im «Exklusivklatsch» gefallen - stimmt doch nun wirklich ganz und gar: «Wir sind überhaupt noch nicht ein bisschen zum Wesentlichen vorgestossen.» Bisschen arrogant - meine Meinung - zu denken: dass wir das so schnell tun werden. Dass das irgendeine/r so schnell tun wird.

 

 

 


Der Text «Sexklusivknatsch. Eine Polemik mit einigen Klammern. Oder dann halt: Jetzt ist es so weit, ich schreibe eine Rechtfertigung» erschien am 30. Januar 2002 im [wortwerk].
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