«leben für ein neues musikinstrument - die syntharp.»

matthias kuhn im gespräch mit arion pascal.
mittwoch, 9. april 2003, projektraum exex st.gallen.

weniger der instrumentenbauer, als vielmehr der architekt

kuhn: was ist dein hintergrund? deine ausbildung? welches sind deine beweggründe ein ganz neues musikinstrument zu entwickeln?

pascal: mich hat letzthin jemand gefragt: was machst du eigentlich so? du machst doch immer so viel? ich glaube, die leute denken, wenn man nur schon zwei dinge macht, dass man viel macht. sie können einen dann nicht richtig fassen. ich habe mich mit clownerie auseinandergesetzt und ich beschäftige mich mit komposition und daraus hervorgegangen ist der instrumentenbau.

kuhn: hast du instrumentenbau gelernt?

pascal: bevor ich musik studiert habe, habe ich eine ausbildung zum maschinenzeichner gemacht. nach dem konservatorium habe ich mich dann mit verschiedenen themen befasst. zuerst mit komposition, kam zu den klangfarben und habe begonnen klaviere zu präparieren. diese versuche haben mir nicht das gebracht, was ich suchte. ich bin dann aber schnell darauf gekommen, dass man andere klangfarben gewinnen können müsste, wenn man saiten durch eine andere technik spielen würde. wenn man eine geige und ein klavier vergleicht, klingt das ja sehr anders, obwohl beides saiteninstrumente sind, nur schon dieses medium ist sehr variabel ... nur schon ein hackbrett klingt anders als ein klavier, obwohl dort sogar die technik übereinstimmt (hammertechnik). das hat mich motiviert zu suchen, wie klangfarben anders erzeugt werden könnten. eine andere motivation war folgende: als ich etwa zwanzig jahre alt war, lernte ich einen gitarrenbauer kennen. ich habe mir sehr bald eine gitarre bauen lassen. ich hatte durch diesen gitarrenbauer einen sehr direkten zugang zum instrumentenbau, aber ich habe nie daran gedacht, selber ein instrument zu bauen. ich habe aber gitarren entwickelt, habe ihm die konzepte gegeben, die wir zusammen überarbeitet haben und so weiter. wir haben zum beispiel eine gitarre entwickelt, die resonanzsaiten hat wie eine sitar, 12 chromatisch gestimmte saiten, die parallel zum hals verlaufen und die das resonanzverhalten begünstigen. diese gitarre hat er dann für mich gebaut. auf diese art hatte ich immer auch mit instrumentenbau zu tun ...

kuhn: ihr habt zusammen konzipiert und er hat gebaut?

pascal: genau. in der ausführung war ich nie dabei. ich bin handwerklich nicht so gut, dass ich mir das zugetraut hätte ...

kuhn: ich frage, wegen der materialerfahrungen. die materialien haben doch einen grossen einfluss auf die wirkung?

pascal: ich habe das natürlich kenngelernt mit der zeit. bei den instrumenten, die sich etabliert haben, sind es oft dieselben materialien. fichte zum beispiel ist ein holz, das sich für eine klangdecke eignet und die harthölzer wie ahorn und palisander setzt man dort ein, wo grössere kräfte wirken. natürlich braucht man auch viele andere hölzer. aber wenn man zum beispiel eine gute gitarre kauft, dann ist sie fast immer aus den bekannten hölzern gebaut worden. bei mir hat eindeutig die ausbildung zum maschinenzeichner bewirkt, dass ich nicht alleine bei der komposition geblieben bin, sondern darüber hinaus auch an die konstruktion und die damit verbundenen möglichkeiten gedacht habe. ich denke zwar, dass ich weniger der instrumentenbauer, als vielmehr der architekt bin. der architekt plant und führt nicht aus. ausser den modellen natürlich, die baue ich selber. und gerade die modelle waren ein radikaler schnitt: ich hatte absolut keine lust mehr pläne zu zeichnen, obwohl ich das eigentlich gelernt hatte. ich merkte plötzlich: ich will modelle bauen, ich will es spüren, ich will es in den händen halten, ich will die formen dreidimensional vor mir haben. es ist nicht mein taum, mir den korpus, von dem ich träume, selber zu bauen. es gibt leute, die dieses handwerk so gut beherrschen, dass es keinen sinn macht, wenn ich mich damit beschäftige.

kuhn: du kannst dann auch profitieren von der fertigkeit des instrumentenbauers?

pascal: unbedingt. beim architekt ist es doch selbstverständlich, dass er das haus nicht selber aufstellen kann. mein instrument ist auf eine andere Weise komplex verlgeichsweise mit einem haus. da ist holz und stahl dran und auch elektronik. das sind drei sehr verschiedene gebiete. das spricht eindeutig für die denkweise des architekten.

kuhn: du sprichst jetzt von der ebene des materials. wie ist es mit der ebene der technischen möglichkeiten? weisst du im voraus genau, was dein instrument können muss? wie sein klang und die wirkung des klangs sein müssen?

pascal: ich schildere dem fachmann meine vorstellung zusammen mit plänen und wir setzen es zusammen um. man muss nur folgendes sehen: ich arbeite im moment am zweiten prototypen der syntharp. der erste hatte noch ganz andere hintergründe und ursprünglich habe ich die technik sogar in ein klavier eingebaut gehabt ... das war auch die ursprungsidee: ich wollte eine installation machen, die man einfach hätte in ein klavier einbauen können. ich wusste dann immer mehr über die technik und so stellte sich heraus, dass es keinen sinn macht, diese technick mit einem klavier zu verknüpfen. beim klavier sind die basssaiten zum beispiel kupferumwickelt, das ist magnetisch völlig uninteressant, der magnet wirkt nur auf den kern. ausgerechnet bei den saiten, wo man viel kraft brauchen würde. es gab also auch rein technische gründe gegen diese einbauten. ein anderer war: ich gehe mit dem magnetfeld nicht nur von einer seite an die saiten heran, sondern von hinten und vorn. beim klavier ist einfach zu wenig platz ... es sprach also alles dafür, von dem klavier wegzugehen und ein neues instrument zu entwickeln und plötzlich gab es viele vorteile: die syntharp braucht gar nicht so viele saiten, ich verwende besser ein anderes dämpfsystem und so weiter ...

 

ich suche den feinen schmelzklang dieser resonanzen und obertöne

kuhn: du hast vorher gesagt, klangfarben hätten dich interessiert. ist es denn deine experimentierfreude, die dich dazu bringt, ein neues instrument zu entwickeln, oder ist es auch eine unzufriedenheit mit der beschränktheit der saiteninstrumente. was bringt dich dazu ein instrument zu entwickeln? du hast von der sitar-gitarre gesprochen. ich meine, eine sitar gibt es schon und eine gitarre auch. oder klaviere, die tönen ja alle sowieso verschieden ... was bringt dich also dazu, diesem ganzen instrumentenpark noch ein weiteres instrument beizufügen?

pascal: die suche nach neuen klängen war sicher experimentierfreude, das war jenseits jeder strategie ... wenn ich das instrument, das meiner vorstellung entsprochen hätte, grad zur hand gehabt hätte, hätte ich es sicher genommen ... ...wenn du am klavier sitzt und mit viel pedal einen mächtigen klang spielst und wartest bis du fast nichts mehr hörst... diesen klang wollte ich und zwar ohne den «lärm» voraus ... ich suche den feinen schmelzklang dieser resonanzen und obertöne. ich dachte immer, ich müsste saiten anhauchen können und nicht anschlagen.

kuhn: du hattest also eine ziemlich genaue vorstellung des klanges, den dein instrument erzeugen können muss?

pascal: genau. da war ein sehr pragmatischer ansatz. ich wusste einfach, dass dieser klang etwas bringen würde, das fand ich interessant. ich wollte dann wege suchen diesen klang zu finden. ich dachte zuerst daran saiten anzublasen, wie bei der windharfe, nur gezielt. vielleicht mit röhrchen und viel druck. ich habe das nicht weiterverfolgt, weil beim anblasen auch ein windgeräusch entsteht. das wollte ich nicht. ich hatte dann, als ich meine e-gitarre angeschaut habe, plötzlich die idee: wenn man einen ton magnetisch herausnehmen kann, kann man ihn vielleicht auch hineinschicken. mein bruder, der elektoningenieur ist, hat mir dann bestätigt, dass das gehen müsste, und ich habe sofort begonnen spulen zu wickeln. ich musste nun aber noch ein signal haben, das ich durchschicken konnte. den ersten versuch habe ich mit einem mikrofon gemacht, weil ich damals noch keine synthesizer im haus hatte. die erste saite habe ich also eigentlich «angesungen». das hat auch zu meiner freude bestens funktioniert! es ist technisch so, dass du eine frequenz durchs kabel schicken musst, um über den magneten die saite zum schwingen zu bringen. das signal kann aus einer akustischen oder elektronischen quelle kommen, es muss aber elektrifiziert werden ... hier liegt ein grosser teil meiner motivation begründet. das hören dieses klanges, der in diesen resonanzen ganz zart klingt, das war für mich immer ein akustisches phänomen. ich habe die elektronischen möglichkeiten natürlich auch gekannt, denn ich habe jahrelang in rockbands gespielt, wo wir auch keyboards hatten. als ich dann gitarre studiert habe - obwohl ich sehr mühe hatte mit der klassischen musik, mit der rolle des interpreten zum beispiel - habe ich am konservatorium eine überwiegende freude an akustischen instrumenten bekommen. akustische töne haben mich ganz einfach mehr berührt. die art des raumes ist viel einfacher, aber unglaublich schön. später war es für mich immer klarer, dass ich am akustischen instrument weiterarbeiten wollte. dass das ganze dann so schnell wieder elektronisch wurde, war schicksal.

kuhn: wie du das chronologisch erzählst, hast du auch gar nicht von anfang an daran gedacht, dass du diesen klang, den du am klavier gehört hattest, elektronisch erzeugen willst?

pascal: nein, überhaupt nicht. viele leute sagen, wenn sie die syntharp hören, dass sie gar nicht so anders tönt als ein sythesizer. die syntharp funtkioniert so gut, und hat die obertöne so gut im griff, dass das auch zutrifft - es spricht eben für diese neue technik - aber die syntharp ist ein akustisches instrument und tönt nicht über eine lautsprechermembran. sie hat ein resonanzverhalten und das heisst folgendes: die obertonwelten stecken sich gegenseitig an und gleichzeitig hat jede saite eine natürliche (aus-)schwingphase, man muss jede saiten freigeben und dann wieder dämpfen ...

kuhn: entspricht eigentlich die syntharp jetzt diesen klangvorstellungen, die du einst am klavier entwickelt hast?

pascal: ich denke ja. es gibt einfach noch viel, viel mehr möglichkeiten jetzt. als ich das erste mal über das mikrofon die saite «angesungen» hatte, war ich begeistert. aber ich dachte auch: wieso klingt die saite ein bisschen wie meine stimme? ich kam dann ziemlich schnell in diese ganze obertongeschichte hinein. man kann eine saite halbieren, dritteln, vierteln ... hundersteln und so weiter, weit über die hörgrenze hinaus ein ganzes meer von teiltönen. ich habe mit der syntharp ein mittel gefunden, wie ich die töne zum schwingen bringe und wie ich an alle diese teiltöne herankomme. mittels software und elektronischer klänge kann ich diese obertöne wählen ... das geht also tief in diesen mikrokosmos hinein.

kuhn: du kannst auf deinem instrument gezielt obertöne angehen?

pascal: ja, die kannst du gezielt wählen. man kann das bei einem instrument sonst auch. aber man kann das nicht einfach beliebig. paul giger zum beispiel ist ein sehr versierter geiger und obertonmusiker, er spielt bis circa zum 16ten einzeln gewählten oberton. ich kann bei der syntharp fast beliebig weit gehen. auf der syntharp gehts weiter und weiter, bis zum 60sten, bis zum 80sten ... um auf die frage zurückzukommen, ob das instrument das bringt, was ich wollte: mit der syntharp kann ich auf diesem weg eine saite nicht nur wie mit einem hammer anschlagen, sondern auch wie mit einem bogen anstreichen. du kannst den ton sehr langsam ansteigen und ausklingen lassen oder du kannst ihn wie auf dem xylofon kurz und heftig anspielen.

kuhn: du hast dir also nicht nur deinen klangtraum erfüllt, sondern noch viel mehr?

pascal: ich meine, wenn ich jetzt jenen klavierakkord spielen wollte, müsste ich eine weile tüfteln, bis es so klingen würde. was mich aber heute interessiert ist nicht genau jene farbe, sondern die art wie der klang uns erreicht: dass es sich nämlich um eine natürliche saiten und resonanzen handelt. der klang an und für sich ist nicht neu, aber die art, wie er in den raum geht ist neu. wenn man zwei weingläser anstösst, dann klingen sie, das empfinden wir als musikalisch. wenn du auf einen karton schlägst, dann hat der auch ein schwingverhalten, aber ein ganz anderes. in den audioboxen ist karton drin. du kannst das signal ausschalten und der ton ist weg, bzw. die membran des lautsprechers erstickt sofort. das material in den boxen sagt eigentlich: ich will nicht klingen, ich muss klingen. das material wird erzwungenermassen zum klingen gebracht. die gläser sind auch kein perpetuum mobile, die klingen auch aus, aber das material klingt verhältnissmässig extrem lang, dass man sagen kann es will klingen, es rührt an. und genau das ist das phänomen der saiten: man rührt sie an, lässt sie lange ausklingen oder man will sie wieder vorzeitig stoppen.

kuhn: die wortwahl ist doch bezeichnend. du sagst, es rührt an. ein solcher klang, wie derjenige der gläser, der rührt dich an, er berührt dich. da wird es interessant zum zuhören.

pascal: ich bin ein typ der sehr gerne stehende klänge hat, auch sphärische klänge. für einen schlagzeuger können aber materialien wie der karton auch interessant sein, damit kann man pulsierendere töne machen. die gläser sind viel sphärischer und man muss ihren klang dosieren, das dämpfen ist genauso wichtig wie das anrühren.

 

zelluläre automaten

kuhn: wie steht es denn bei der syntharp mit dem instrumentalisten? wer spielt die syntharp?

pascal: man kann die syntharp über ein keyboard, über eine tastatur, oder direkt über den pc spielen. man kann sogar mit einem akustischen instrument sounds einspielen. paul giger hat zum beispiel schon den ton von seiner geige abgenommen und dann bei der syntharp gleich wieder eingespeist. seine resonanz wird dadurch richtig gehend «orchestral». so gesehen kann man über die magnete viele quellen einspeisen ...

kuhn: du spielst die syntharp auch? ich frage deshalb, weil zum istrument doch der instrumentalist gehört. wenn ich beim klavier nicht den deckel öffne, mich hinsetze und in den tasten greife, dann tönt gar nichts.

pascal: man kann die syntharp auch als musikautomaten einsetzen. das heisst, man kann eine fertige komposition über die syntharp abspielen, wie mit einem lautsprecher auch. ja man hat die ganze bandbreite von der tastatur bis zum einspeisen gespeicherter elekronischer klänge zur verfügung. man kann sich auch hinsetzen und eine komposition live spielen. das ist dann ganz ähnlich wie bei einem organisten. vor dem spielen muss man zuerst registrieren. nur dass das hier softwareseitig geschieht, oder über das keyboard.

kuhn: du hast von der akustischen klangerzeugung gesagt, sie sei anrührender, sie sei unmittelbarer. wie ist es denn hier, geht da nicht etwas verloren, wenn man die komposition nur noch einspeist?

pascal: ich glaube, es ist hier ein bisschen geballter, als bei andern instrumenten. die syntharp ist ein instrument, das du live spielen kannst, dabei kannst du alles aufnehmen und wenn du die aufnahme nachher abspielst, hörst du das originalinstrument. das ist anders, als wenn du eine geige aufnimmst und sie nachher über lautsprecher anhörst. dort höre ich die geige nicht mehr. bei der syntharp höre ich weiterhin das originalinstrument ...

kuhn: was aber fehlt ist doch, dass ich den instrumentalisten nicht wirklich live, von angesicht zu angesicht, erlebe ...

pascal: genau. aber wie gesagt ein wesentlicher unterschied besteht darin: ich höre das originalinstrument klingen. ... man kann das heute nicht mehr bestreiten, wenn jemand ein bisschen geld ausgeben will, kann er sich eine musikanlage kaufen, die einen extrem authentischen klang wiedergeben kann. oft sind aufnahmen sogar besser, als was du live erlebst, weil du im konzert zum beispiel einen schlechten platz hattest ...

kuhn: und du hattest auch das liveerlebnis nicht. manchmal hat man ja lieber einen schlechten platz und sitzt im hintergrund und hat aber dafür den pianisten gesehen.

pascal: auf jeden fall, auch dass publikum da war ist wichtig. das sind riesenunterschiede. aber rein akustisch gesehen gibt es den unterschied. das publikum ist vielleicht weg, der instrumentalist auch, aber es ist das instrument, auf dem der instrumentalist gespielt hat, welches die komposition wiedergibt, ich sage 1:1, es sind die gleichen daten. ich habe oft kompositionen auf minidisk aufgenommen und sie nachher im zug gehört. ich muss sagen, doch, ich höre mein instrument. aber das erlebnis ist niemals das der tönenden syntharp.

kuhn: die syntharp könnte ja auch mit sensoren bestückt werden?

pascal: zu meiner freude ist da john flury, musikinformatiker an der uni zürich, im moment daran eine software auszuarbeiten. er nennt das «zellulärer automat». dabei geht es um eine nach bestimmten kriterien computergenerierte komposition. dann sollen sensoren integriert werden, die verschiedenen parameter verändern können, zum beispiel laut-leise, schnell-langsam, dicht-lose, usw. wir müssen das, wenn der automat fertig ist, aber zuerst testen. wir haben diese software bis heute noch nicht mit der syntharp verknüpft. aber ich denke, das ist eine spannende möglichkeit die syntharp in einem raum zu installieren.

kuhn: ich habe vorher nach dem instrumentalisten gefragt. es geht bei der frage doch auch um so etwas wie autorität. auch der komponist strahlt eine autoriät aus. man vermittelt musik ja auch so: man versucht dieser autorität nachzukommen und spielt stücke zum beispiel auf historischen instrumenten. du hast vorher auch von authentizität gesprochen. wenn du diese autorität aufgibst, indem du zum beispiel sensoren benutzt, die es dem publikum ermöglichen in dein stück einzugreifen, verlierst du da etwas? ist das ein thema für dich? oder ergeben sich neue möglichkeiten?

pascal: es ist nicht so, dass etwas absolut neues entsteht durch den computer, der freiheitsgrad wird ausgedehnt und die einmaligkeit eingeführt. die möglichkeiten des komponisten sind jene, neue parameter zu setzen, so zu setzen, dass es für das publikum spannend ist. wenn es für komponisten nicht spannend ist, so spielerisch an die sache heranzugehen, dann muss er die komposition wie eh und je fix ausarbeiten. man muss ganz klar sagen, dieses system hat eine spielerische komponente, indem die leute einfluss nehmen können. ich meine, es kann auch für eine geniale komposition eine chance sein, oder für einen raum, wenn man spielerisch damit umgegangen wird, sie in ihrer art immer wieder neu ist...

kuhn: du sprichst immer wieder nicht nur vom instrument, sondern auch vom raum. wie gehst du mit räumen um? interessieren dich konzertsäle?

pascal: der raum ist sehr wichtig. ich betrachte den raum sogar als einen teil des instruments. in der heutigen audiotechnik wird zwar der (hall-)raum eigentlich lieber künstlich hinzugegeben, das heisst der aufnahmeraum selber soll eher trocken sein, dann kann anschliessend der hallraum elektronisch nach belieben hinzugeben werden. das ist aber nicht das, was mich wirklich interessiert. ich empfinde musizieren in einem akustisch schönen raum als den gipfel der musikalität. ich kann mir daher sehr gut vorstellen, dass die syntharp auch in einem konzertsaal gespielt wird. was mich interessiert ist eigentlich, dass das instrument viele möglichkeiten hat. wie das instrument einmal eingesetzt werden kann, das ist eine offene frage. wenn jemand aber gut spielt auf einem instrument und das in einem toll klingenden raum! ... es ist ja auch nicht ganz zufällig, dass komponisten ihre kompositionen zur interpretation jemandem übergeben, der das jeweilige instrument besser beherrscht als sie...

kuhn: das hat dann auch wieder mit der authentizität zu tun. die leute hören sich konzerte ja ganz gezielt an, wenn zum beispiel ihr lieblingspianist spielt.

pascal: ich bin gar nicht auf konserven fixiert. es ist für mich nach wie vor das höchste erlebnis, wenn eine persönlichkeit eine komposition live interpretiert. wenn du einen musiker live erlebst und merkst, wie seine musik rüberkommt, dann habe ich ein viel besseres gefühl, als wenn einer vergleichsweise hinter einer riesenapparatur sitzt...

 

die einfachheit des klanges im raum

kuhn: ist die musik über die syntharp nachvollziehbar?

pascal: bei der syntharp herrscht ein dilemma, das die elektronik heute allgemein hat. bei der riesenmenge an möglichkeiten merkt man oft nicht mehr, wo was passiert ...

kuhn: ich habe letzthin einen keyboarder erlebt, der auf seinem keyboard mit zwei zusätzlichen computern musik machte. wie er an seinen instrumenten hantierte, das stimmte überhaupt nicht mit dem gehörten überein, das heisst seine bewegungen und handlungen waren nicht mit der musik, die er spielte, übereinzubringen. ich finde es immer noch irritierend, wenn diese übereinstimmung fehlt. wenn man einem geiger, oder einem gitarristen, sogar einem rockgitarristen zuhört, stimmen diese ebenen überein und sind für mich als hörer nachvollziehbar, du glaubst als hörer, dass die bewegungen des musiker zu dem sound führen, den du hörst ... ich denke, das hat viel mit dem live-erlebnis zu tun. wenn man die sounds bei der syntharp jetzt über einen computer spielt, ist die soundproduktion noch nachvollziehbar?

pascal: das hat grundsätzlich nur mit der spielweise und dem stil zu tun. man kann die musik praktisch eins zu eins spielen. wenn man aber futuristische klänge machen will, kann ich auch so spielen, dass der tastendruck nicht nachvollziehbar zu einem ton führt. da habe ich die ganze bandbreite zur verfügung. paul giger hat versuche gemacht, da sah man ihn spielen und hörte seinen vergrösserten klang. das könnte allerdings auch elektronisch so sein ...

kuhn: es kommt auch auf den standpunkt an, den man einnimmt. wenn ich mich auf den standpunkt des konzertpublikums stelle, dann möchte ich sehen was passiert, dann möchte ich doch sehen, wie der musiker auf der bühne an seinem instrument und seinem klang arbeitet. bei einem dj erwarte ich wieder etwas ganz anderes, dem schaue ich auch nicht zu bei seiner arbeit, ich will dort auch nicht wissen, woher er zum beispiel einen rhythmusteppich herholt ... sind die erwartungen des konzertpublikums nicht relativ traditionell?

pascal: ja, das denke ich schon. dem publikum wird es auch ziemlich schnell langweilig. es findet vielleicht noch, dass das elektronische getöse interessant ist, es kommt aber nicht draus, wie was bewegt wird ... es ist einfach so, dass wir heute unglaublich viele möglichkeiten haben. am ircam in paris habe ich letztes jahr ein neues instrument names «omni» gesehen: das war eine grosse halbkugel, zusammengesetzt aus vielen verschiedenfarbigen platten. jede platte war mit einem sample besetzt, der vom spieler oder publikum ausgelöst werden konnte. die samples waren in rhythmus und tonhöhe aufeinander abgestimmt. in kürzester zeit entstanden so «minimalartige» sounds, die wirklich sehr interessant tönten. das instrument war aber in kurzer zeit langweilig. man bekommt viel zu viel geliefert und muss selber nicht viel machen, ausser die möglichkeiten in gang zu setzen. es geht mehr um eine art «kultivierte collage», als darum, wirklich musik zu machen...

kuhn: das kommt mir vor wie ein spielzeug, mit dem man eine weile spielt, weil es neu ist und viele möglichkeiten beinhaltet und dann wird's langweilig ...

pascal: ja, genau. es ist sehr faszinierend und die leute auf der messe haben auch damit herumgespielt wie die verrückten. man kommt schnell auf ein gutes resultat. es erschöpft sich dann aber sehr schnell. etwas das ins gleiche thema reinpasst: ich habe letzthin mit jemandem von einem musikhaus über klaviere und keyboards gesprochen. er hat erzählt, dass das interesse an keyboards heute ebenbürtig gross ist. diejenigen, die keyboards kaufen, seien sehr fasziniert, übten am anfang auch fleissig und nach spätesten anderthalb jahren sei das interesse vorbei. beim klavier plagen sich die käufer am anfang zwar ab, wenn sie aber durchhielten, dann spielten sie nachher oft ein leben lang. es ist viel mühsamer eigentlich, hält aber länger an ...

kuhn: das ist doch genau, was man gerne hören möchte ...

pascal: ja, aber das haben mir schon verschiedene leute erzählt. ich kann dir noch ein anderes beispiel erzählen: ein klavierbauer hat mir ein system gezeigt, mit dem man ein klavier midifizieren kann, das heisst, es wird ein mechanischer stopper eingebaut, den man einschalten kann, dass die hämmer nicht mehr auf die saiten schlagen, sondern gewissermassen von einer midischnittstelle abgefangen werden. dann kann man zum beispiel den sound eines steinwayflügels einschalten, oder einer orgel, oder eines cembalo und so weiter. so kannst du mit kopfhörern spielen, wenn du in der nacht üben willst - als das sogenannte «silent piano». dieser klavierbauer hat erzählt, es seien vor allem leute mit besseren klavieren, die sich dieses system leisteten. er fragt nun die leute, wenn er ihre klaviere jeweils stimmen geht, wie sie mit der eingebauten elektronik zufrieden seien. die leute erzählen praktisch alle dasselbe: bald werden die möglichkeiten uninteressant und sie werden somit nicht mehr gebraucht. hier wird es doch offensichtlich: gegenüber einem guten klavierton genügen die besten elektronischen sounds der besten flügel der welt nicht ...

kuhn: ich kann das bestens verstehen, hätte aber nicht gedacht, dass es in wirklichkeit so ist. man hat mit diesen elektronischen geräten auf einen schlag eine riesenauswahl an möglichkeiten. man kann alle rhythmen ausprobieren und so weiter. es tönt schnell nach etwas, aber nachher muss man doch üben, und da hört es dann auf ... und dann kommt noch das erlebnis der akustischen töne dazu. natürlich ist es noch immer ein unschlagbares erlebnis eine gute rockband zu hören, aber akustische töne sind einfach viel unmittelbarer, viel körperlicher ...

pascal: das geht mir genau so. ich höre gerne eine gute rockband. man muss aber doch sagen, e-gitarren sind phänomenale instrumente. dort ist der sound an sich akustisch erzeugt und wird nachher verwandelt, dazu kommt, dass man einen guten verstärker bis an die grenzen belasten kann, bis er zu singen beginnt. man geht dort an quasi ebenfalls akustische grenzen. ich habe letzhin gerade wieder einmal von deep purple «made in japan» gehört und hatte dabei plötzlich gewusst was ich eigentlich suche, bzw. was ich anderes suche: da ist eine innigkeit dabei, eine direktheit, eine einfachheit ...

kuhn: spielt das nicht auf einer anderen ebene? ich meine, wenn es um innigkeit geht, geht es auch um inhalt. und dann ist das klingen des tones im raum überhaupt kein kriterium mehr ...

pascal: das ist klar, ja, bestimmt spielt es auf einer anderen ebene, das ist es eben gerade - und gerade die art des raumes kann wesentlich etwas zur aussage eines bestimmten inhalts beitragen ...

 

oasen in unserer heutigen, lärmigen welt

kuhn: um noch einmal auf die syntharp zurückzukommen. wir haben jetzt vom instrument und von musik gesprochen. können wir noch auf die frage der strategien zu sprechen kommen ...

pascal: die syntharp ist ein sehr komplexes instrument. ich konnte mir nicht einfach ein handwerk zulegen und es dann bauen. es ist sehr viel komplexer. ich benötige ein ganzes team zur entwicklung. angefangen beim klavierbaumeister, der saiten und saitenzug berechnet, bis zum holzbauer, stahlbauer, elektroniker und informatiker. und ich konnte mit der fachhochschule für technik in buchs zusammenarbeiten. die kette, die du durchlaufen musst, bis du mit deinem instrument auf den markt kommst, ist gewaltig. es braucht einen prototypen, man muss sich überlegen wie man produzieren kann, dass das produkt überhaupt erschwinglich wird, dann sollte man einen vertrieb haben, der es auf den markt bringt, das instrument sollte natürlich per «plug-and-play» spielbar sein, das heisst, dass ein käufer es zuhause einstecken und dann spielen kann... und was zenteral ist und eigentliches ziel, ich möchte mit musikern zusammenarbeiten ... das ist eine riesen spannweite.

kuhn: du könnest das projekt ja einfach bis zum prototypen entwickeln und fertig. das problem ist doch, dass es dich auch als musiker interessiert ...

pascal: ja natürlich, mich interessiert es als musiker. der rest interessiert mich aber auch sehr. es ist mehr die frage, ob ich das schaffe. ich bin zum beispiel in der frage der produktion auf ein paar ganz interessante neue wege gekommen. das war nur möglich durch die entwicklunsgzeit des wissens um die materie. du musst dich im denken anpassen, musst lernen anders zu denken. man kann nicht mit fixen vorstellungen raus gehen und meinen, das funktioniere alles genau so. das finde ich ist sehr interessant.

kuhn: bist du der typ, der das alles macht? du kümmerst dich um die musik und ebenso zum beispiel um's investment. oder brauchst du dazu andere leute?

pascal: nein, das interessiert mich wirklich. ich habe schon allrounderveranlagungen - zum glück, aber wenn es die möglichkeiten zulassen arbeite ich viel lieber mit fachkompeteten leuten zusammen. ich frage mich heute aber manchmal nur, ob ich mir diesen langen weg überhaupt leisten kann, in bezug auf die umstände - mein alter, meine familie und so weiter - es geht weniger darum ob ich will, als vielmehr ob ich das auch darf ... das ist eine schwierige frage. ich verhandle im moment mit einer firma, die interessiert ist an meinem instrument. wahrscheinlich ist es diesen leuten ernst, wie es aber aussieht nicht zu meinen bedingungen. ich bin jetzt wieder mehr zu mir zurück gekommen und ich überlege, ob es nicht auch die möglichkeit gibt, die sache allein durchzuziehen. das ist schwieriger, aber ich habe dann einfach mehr einfluss ... auch was den gewinn angeht. und dabei denke ich nicht einmal ans reich werden, sondern einfach daran, endlich etwas damit zu verdienen im verhältnis zum aufwand ...

kuhn: das ziel deiner entwicklunsarbeit ist also, die syntharp zur serienreife zu entwickeln und sie in den handel zu bringen, wo ich sie neben klavier, keyboards und so weiter kaufen kann?

pascal: das ist für mich eine interessante herausforderung und aber auch eine sehr anspruchsvolle. für leute die experimentieren, ist die syntharp im stadium als prototyp kein wirkliches problem, aber für andere, die einfach musizieren wollen, sollte es per «plug and play» spielbar sein.

kuhn: was ich interessant finde: du bist musiker und entwickelst dir in jahre langer arbeit ein instrument, das genau auf deine klangvorstellungen zugeschnitten ist, und jetzt willst du es darüber hinaus zu einem allgemein brauchbaren instrument machen. das sind doch zwei verschiedene ebenen?

pascal: das ist ein riesiger unterschied. ich bin heute nicht mehr der musiker, der das für sich alleine entwickelt - was finziell auch unverhältnismässig wäre - für mich ist es deshalb wichtig, dass ich den instrumentenbauer, der ich inzwischen geworden bin, voranstelle. ich finde es sehr wichtig, dass das projekt der syntharp über mich hinausgeht. ein bild um es zu umschreiben: aus der akustischen gitarre wurde durch einen tonabnehmer die e-gitarre und, ich meine, durch den ton-geber den wir entwickelt haben, wird der synthesizer - hier genannt als ein vertreter für alle anderen elektronischen tonquellen - zum eigentlichen a-synthesizer, a wie akustisch. das finde ich keine sache, die ich für mich behalten sollte. ob es aber so sein wird, dass das die leute wirklich interessiert, das wir sich zeigen müssen. ich denke gewisse leute sicher, denn die lautsprechermusik, wie sie heute land auf land ab unsere ohren verfolgt, ist eher schnell und billig, denn gut und wirklich ... wenn es jedoch nicht gelingen sollte, dass die syntharp fuss fasst, dann wird es schnell soweit kommen, dass ich selber projekte mache. ich hoffe einfach, dass ich dann ein paar instrumente zur verfügung haben werde... dann könnte ich in räumen wahnsinnig schöne sachen machen.

kuhn: und wie kommst du mit deinem projekt an die öffentlichkeit?

pascal: es läuft heute schon etwas um die syntharp, dass die entwicklung aber sehr langsam vor sich geht ist natürlich nicht interessant von aussen. ich habe heute auch noch keine zeit mit dem projekt hinaus zu gehen, oder nur schon darum herum zu planen - andererseits, es ist ja auch noch nicht sinnvoll. gerade eben ist ein keramiker auf meiner homepage gelandet und dann hat mich ein künstler aus zürich angerufen, um sich zu erkundigen. ja, was mich sehr interessieren würde, sind zum beispiel kunsträume ...

kuhn: du meinst für akustische installationen? das fände ich sehr interessant. das instrument ermöglicht damit doch viel mehr als traditionelle konzertsituationen.

pascal: dort könnte man dann auch mit sensoren arbeiten. wir könnten dann ganz neue verknüpfungen machen ... ich meine wirklich das instrument hat sehr viele möglichkeiten in sich. und auch heilkraft, aufbauende kraft ... von da her könnte man richtige klangoasen bauen, in unsere heutige, lärmige welt. man könnte räume machen in die man hineingeht und als ein anderer wieder herauskommt...

kuhn: in dem was du erzählst, bestehen sehr viele parallelen zu künstlerischen arbeiten und entwicklungen. parallelen zum beispiel zu einem begriff der künstlerischen forschung, wo es darum geht ein thema oder einen gegenstand zu erforschen und mit den künstlerischen mitteln, die zur vefügung stehen, etwas über den gegenstand zu erfahren. natürlich gehst du dann mit den wirtschaftlichen ideen deines produktes darüber hinaus, aber wie du die sache gewissermassen künstlerisch überlegst und angehst ist sehr ähnlich.

pascal: vor allem von der motivation her ist es wirklich sehr ähnlich - was man will oder sucht, und auch bei diesem wirtschaftlichen gedanken, geht es am schluss vor allem um austausch und erweiterung der möglichkeiten und gar nicht um verkauf. ich denke bei der entwicklung läuft manchmal alles sehr rational ab. wenn ich die syntharp dann in einen raum stelle und sie höre, dann merke ich emotional wieder was das alles bedeutet. es entsteht dann so etwas wie eine «aura» rund um das instrument die ich wieder wahrnehme.

kuhn: das hat wahrscheinlich mit dem erleben der eigenen werke aus der distanz zu tun, oder? wenn du am boden kniest und eine schraube anziehst, wenn du dich mit den details beschäftigst, dann bist du viel zu nahe dran und auch zu tief drin. wenn du die arbeit aber installiert hast, oder nur schon am morgen ins atelier kommst und die arbeit siehst, hast du ein ganz anderes gefühl dafür.

pascal: dadurch wird es ganzheitlicher und die leute haben die möglichkeit heranzukommen. es springt vielleicht ein funke über ...

kuhn: ... und dieses gefühl ist dringend notwendig um weiterzumachen.

 

 

abschweifung: kunst produzieren für ein insiderpublikum

pascal: ich finde es ist in der zeitgenössichen musik oft ein problem, dass sich die musiker nicht mehr um das publikum kümmern. sie wissen zum vorne herein, dass ihr musik, die sehr speziell ist, nur von einem insiderpublikum gehört wird. das beschäftigt mich, dadurch klinken sich sehr viele künstler aus der gesellschaft aus. es gibt natürlich auch gute gründe sich nicht um das publikum zu kümmern, um welches auch? es gibt soviele leute...?

kuhn: wie ist es denn bei dir, wie ist es denn mit deiner musik? wäre es denn eine anforderung an komponisten, musik zu schreiben für ein breiteres publikum? wie würde das aussehen? wie muss sich der künstler um ein publikum kümmern?

pascal: wahrscheinlich darf man als künstler gar nicht von einem publikum reden. man muss vom menschen reden. wenn dich der mensch interessiert, dann gehst du anders an die sache heran, und du wirst irgendwann ein publikum haben. vielleicht hast du auch nie ein publikum, weil man dich wirklich nicht versteht. ich weiss es gibt auch künstler oder komponisten die machen grossartige dinge, die man erst viel später erkennt. vielleicht ist was ich meine letztlich banal, aber schliesslich überlassen viele künstler dieses breite feld den seichten und plumpen projekten, es gibt doch zum beispiel so viele musik, die gleich tönt ... ich beobachte, dass die künstler, die etwas zu sagen haben, die eine botschaft haben, sich letzten endes einfach aus dem staub machen und irgendwelche andern dinge tun - oder eben nur für sich arbeiten. andererseits fällt mir auch auf, dass es trotzdem immer wieder künstler gibt, die spuren hinterlassen, die die leute wirklich mit kunst bewegen. man kann das nicht produzieren, und in dem sinn muss es auch in gewisser weise elitär sein ... wenn künstler ausprobieren können und sich dabei nicht um den erfolg kümmern müssen, kann das auch wirkliche freiheit bedeuten. gleichzeitig steckt da auch die gefahr von isolation. es geht wenig über das insidertum und dieses metier selbst hinaus. ich frage mich, ob der künstler zugunsten dieser freiheit nicht auch etwas verschenkt und etwas aufgibt? klar, man muss das mit sich selbst ausmachen und entscheiden, wie man seinen weg und seine tätigkeit sieht. wir haben heute ein sehr grosses individualistentum - natürlich ist das auch wieder freiheit - aber man trifft sich auch immer weniger bei gemeinsamen themen.

kuhn: was du formulierst, diese sache mit dem insiderpublikum, trifft für die bildende kunst genau so zu. nur: wenn in der bildenden kunst etwas mit einem grösseren publikum spielt, wenn eine arbeit, ein künstler populärer wird, dann wird es auch schnell verdächtig. man sagt dann schnell, wie du vorher gesagt hast, es ist plump, es ist seicht, es ist klischeehaft umgesetzt, die mittel sind nicht gut gewählt und so weiter ... in der musik gibt es diesen bereich ebenso: die populäre musik. und dort tönt dann eben auch vieles gleich ... die insiderkreise sind aber auch die kreise, die den wert und die bedeutung, zum beispiel der bildenden kunst, bestimmen. sobald kunst diesen kreis verlässt, wird sie verdächtig ...

pascal: da schwebt der künstler doch in einer illusion. wenn man sich von diesem rahmen so stark drängen lässt ...

kuhn: man darf diesen rahmen schon verlassen, man muss es sogar versuchen ...

pascal: es ist nur eine frage des masses. es gibt kreise, in denen wird man schon verdächtig, wenn man töne zum beispiel diatonisch verwendet. man muss die spektren mischen, sonst wird man wirklich zum einsamen insiderclub. und es ist doch - auch unter komponisten - schade, wenn alles, was ein konventionell oder irgendwie traditionell tönt, gleich tot gesagt wird.

kuhn: es stellt sich aber wirklich die frage, wie man dieses dilemma auflöst. in der bildenden kunst war es in den vergangenen jahren doch so, dass man diese ganzen lifestylethemen, diese partywelle einfach in die kunsträume reingenommen, sie importiert hat. aber diese sache ist dermassen langweilig und funktioniert überhaupt nicht. für diese themen gibt es lokalitäten, die viel besser eingerichtet sind. in einem muskikclub zum beispiel, da stimmt die inneneinrichtung, die soundanlage, die akkustik und so weiter ... so kann man dieses geschlossene system also nicht aufbrechen, indem man einfach themen von ausserhalb hinein holt ...

pascal: ich sehe hier zwar das dilemma, sehe aber auch keine lösung ... wahrscheinlich müssen die lösungen individuell gefunden werden.

kuhn: es geht nur so, dass an diesen themen gearbeitet wird und individuelle lösungen gefunden werden. dann wird es immer wieder lösungen geben, die funktionieren, aber einen masterplan kann man wahrscheinlich nicht aufstellen. vielleicht zeigen ja solche konzepte auch wirkung mit der zeit ...

pascal: ... zum beispiel das alpsteinmuseum. fricker sucht ja offensichtlich auch andere formen. es geht doch darum mit der zeit festzustellen, was man auslöst ...

kuhn: es scheint interessanter zu sein mit projekten die museen zu verlassen, als gewissermassen das leben ins museum hineinzubringen. es geht darum hinauszugehen und projekte zu machen, die themen, die einen beschäftigen dort umzusetzen, wo sie hingehören. man darf dabei aber nicht mit einer flagge auf der steht «ich bin ein künstler, der nicht im museum ausstellt» durch die welt gehen. man muss subversiver agieren. dafür ist das alpsteinmuseum ein gutes beispiel. so kann es klappen ...

pascal: ich denke es geht darum einen überraschungsraum zu schaffen.

kuhn: ... und irritation auszulösen.

pascal: und siehe, damit stecken wir tief in der thematik «welche stretegie verfolgen wir, in die öffentlichkeit zu kommen ... in welche öffentlichkeit?»

 

 

 

 


das gespräch fand statt im rahmen des projektes «file sharing» matthias kuhn/wortwerk.ch im märz/april 2003 im projektraum exex st.gallen.
copyright (c) 2003 bei arion pascal und matthias kuhn/wortwerk.ch
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