die ästhetik komplizierter handlungen

matthias kuhn im gespräch mit stefan rohner, frank und patrik riklin.
donnerstag, 17. april 2003, projektraum exex st.gallen.

ein bisschen zu heiter

kuhn: ich möchte euch zum einstieg eine ganze reihe von fragen auf einmal stellen: wie ist es zu eurer zusammenarbeit gekommen? wie seid ihr zu dieser projekt «die sache mit dem gasflaschenschrank» gekommen? und weiterführend: welches sind eure je eigenen interessen an diesem filmprojekt und an dieser zusammenarbeit?

rohner: also, schön eins nach dem andern. die zusammenarbeit hat sich nach und nach ergeben. ich habe die riklins in der «letzten laterne» kennengelernt, anlässlich einer liveübertragung ...

patrik riklin: ... genau, das war anlässlich des adventskalenderprojekts von urs tremp.

rohner: das hat mir gut gefallen, dieses projekt. ich denke das ist wichtig: es muss über die künstlerische arbeit ein gegenseitiger draht da sein. nur so kann ich mir eine zusammenarbeit vorstellen.

frank riklin: ganz wichtig waren natürlich die ersten begegnungen. ich erinnere mich, dass ich stefan zum ersten mal in der «tankstelle» traf. die «tankstelle» wurde eröffnet und stefan stellte dort aus. wir haben uns dort auf der strasse zugewunken. da war eine stimmung, die völlig unüblich war, dieses winken, bei diesem wetter, auf dieser strasse ... es war ein bisschen zu heiter. das hat sich weiterentwickelt, wir haben uns rollen zugeteilt ... irgendwann haben wir gesagt, dass stefan für uns finlayson ist, der mit schiefem gesicht in den dick und doof-filmen ...

rohner: pädi hat das immer ins spiel gebracht, frank und er sind die zwei links und rechts und ich wäre der in der mitte. das problem war immer, dass frank hätte eine grimasse machen sollen für diese situation, aber pädi konnte das viel besser.

patrik riklin: also ... wir haben uns mit stefan getroffen und das war keine normale begegnung mit hallo und auf wiedersehen. es ging immer etwas weiter nachher und stefan hatte wirklich diesen gesichtsausdruck ... diese ratlosigkeit, die sagt: irgendetwas passiert jetzt doch, oder? ich sah ihn immer in dieser rolle. so fanden die ersten begegnungen statt ...

frank riklin: wir haben gesagt: wir müssen zusammen dick und doof-filme schauen. das war ein wichtiger vorsatz.

rohner: genau. wir haben zusammen filme von laurel und hardy geschaut. ich sage das übrigens lieber: laurel und hardy, und nicht dick und doof ...

kuhn: jetzt aber halt: ihr habt mir vor dem gespräch gesagt, dass ihr nicht von laurel und hardy sprechen wollt und jetzt sprecht ihr doch dauernd über die zwei ...

frank riklin: sie waren der grund, weshalb wir zusammengekommen sind ...

rohner: ja, laurel und hardy waren der eine grund, der andere war einer meiner gloriosen galeristen, der für seine künstler in der normandie für ein jahr ein haus gemietet hatte. ich hatte dieses haus schon letztes jahr für zwei wochen reserviert. irgendwann habe ich dieses haus mal erwähnt und plötzlich hat alles geklappt. wir hätten dort auch einfach ferien machen können.

kuhn: ihr habt aber nicht geplant in die normandie zu fahren, um dort eine koproduktion zu machen?

patrik riklin: es war so: wir hatten uns vorher vielleicht vier, fünf mal getroffen ...

rohner: ... wir haben einmal ein nachtessen gemacht, wir hatten getrunken und dann haben wir einen film gemacht ...

frank riklin: ... das haben wir gemacht um zu sehen, ob wir drei in einem film gut aussehen würden ...

rohner: ... aus diesem film entstand dieses standbild ...

kuhn: das entstand nach dem essen? und ihr hattet einiges getrunken?

rohner: genau. das war auch die frage, ob wir nach dem essen und trinken überhaupt noch fähig sein würden, zu filmen ... aber es ging. es war ein abtast-film, es ging darum, wer von unserem trio welche rolle übernehmen würde. wir haben improvisiert, haben zusammen ein paar sachen gemacht ...

patrik riklin: ... ganz ohne druck ...

rohner: wir haben das also gefilmt, haben es zusammen angeschaut und fanden das ganze ziemlich witzig. wir haben gemerkt, dass wir zusammen funktionieren können. das war das erste mal, dass wir gedacht haben, wir könnte probieren, zusammen etwas zu machen ...

patrik riklin: es ging dann so weiter, dass wir requisiten bestimmt haben. ein teil kam von stefan, ein teil von uns. wir haben uns gesagt, mit diesen requisiten, mit diesem materialien könnte man unter unmständen etwas anfangen. so weit haben wir für die normandie geplant ... wir hatten aber vorher kein konzept zu einem film ...

frank riklin: wir haben einfach kisten gefüllt mit dingen, utensilien, gewändern und so weiter ...

kuhn: das sind die dinge, die ihr hier aufgehängt habt?

rohner: das sind eigentlich die requisitenfotos, oder ein teil der requisitenfotos ... einen teil haben wir mitgenommen, einen teil haben wir vor ort auch noch gefunden. die fotos, die wir hier aufgehängt haben, stehen alle für szenen aus dem film. das problem ist nur: wir haben den film noch nicht, wir reden ja nur darüber ... man kann sich jetzt also anhand dieser fotos den film selber ausmalen, man kann der fantasie freien lauf lassen. wir zeigen dann eine szene, aber mehr gibt es noch nicht ...

kuhn: könnt ihr noch die eine oder andere szene verraten, damit man sich ein bild machen kann?

rohner: wir können noch ein paar making of-bilder projizieren.

patrik riklin: genau. es gibt ein making of-bild von zweiten tag aus der küche.

kuhn: ich öffne doch grad mal alle making of-bilder ...

rohner: genau, mach sie alle auf. hier sehen wir zum beispiel, dass wir zu viert waren, wir hatten noch eine assistentin dabei, anna-tina eberhard, die geholfen hat zu filmen und zu kochen ...

 

«ok, jetzt geht es also los!»

kuhn: ich muss noch einmal fragen: ihr habt laurel und hardy-filme geschaut, habt requisiten eingepackt, eine assistentin mitgenommen ... da habt ihr aber schon ziemlich konkrete pläne gehabt, oder nicht?

frank riklin: wir hatten überhaupt keine ideen, wir wussten nur, dass wir eine gewisse gemeinsame schnittfläche haben, dass wir zu dritt funtionieren können ...

patrik riklin: wir haben uns zum beispiel auf der basis des humors ziemlich gut verstanden ...

rohner: dieses bild in der küche entstand am zweiten tag ...

frank und patrik riklin: ... es war eine krise!

rohner: es war so: wir haben eine szene gefilmt, die kann ich jetzt auch erklären, denn sie kommt im film nicht vor. kann ich sie erzählen?

frank und patrik riklin: ja, gut ...

rohner: also: ich habe, nachdem wir einen ausflug nach le havre gemacht hatten, einen mittagsschlaf gemacht. wir waren in le havre um einzukaufen und wir waren dort an einem steinigen strand ...

frank riklin: ... so wie ich das wahrgenommen habe, war es so: die ersten zwei drei tage wussten wir nicht genau, wie wir uns fühlen sollten. waren wir ferienleute oder waren wir filmleute? hatten wir etwas vor oder nicht? dann gingen wir picknicken ans meer. es war wunderschön. es war aber immer eine gewisse leere da. wir wussten nicht, was unser auftrag war.

rohner: das stimmt. aber wir hatten doch auch keinen druck. also: ich bin dann einen mittagschlaf machen gegangen und die beiden kamen mich brutal wecken und haben mich gefilmt. ich dachte also: ok, jetzt geht es also los.

patrik riklin: gut, brutal war das nicht. und es war nachmittag um drei ...

frank riklin: das war so eine art startschuss. war haben die kamera aufgestellt, stefan geweckt und haben gesagt: es ist zeit zum aufstehen, wir würden gerne arbeiten. man sieht im film dann, wie stefan aufsteht, er trägt einen herrlichen pyjama. alles war herrlich arrangiert. so kamen wir ins arbeiten hinein. alles war völliger nonsense. nichts war zwingend.

rohner: aber immerhin war es so, dass plötzlich etwas lief. die szene war gut zum warmlaufen. so hat sich das ganze langsam entwickelt.

patrik riklin: etwas ganz wichtiges ist an jenem abend passiert: nach dem einwärmen haben wir das erste mal gemerkt, dass wir eigentlich arbeiten könnten, dass wir die requisiten hervorholen könnten. zuerst gab es aber intensive grundsatzdiskussionen, weil wir uns überhaupt nicht gefunden haben. stefan schaute in die eine richtung, frank und ich eher in eine andere. das war wirklich eine krise. wir wussten nicht, ob wir überhaupt würden zusammenarbeiten können oder nicht ...

frank riklin: es ging darum in einem dunklen raum einen faden zu finden, an dem man sich würde halten können, an dem man würde ziehen können ... denn wir wollten etwas in den händen halten ... vielleicht so etwas wie ein konzept. das war für uns sehr, sehr wichtig, weil wir eher auf diese art arbeiten. auch in unserer eigenen künstlerischen tätigkeit arbeiten wir so: wir konstruieren alles ...

patrik riklin: genau ... wir wollten das feld abstecken und sagen, hier drin arbeiten wir.

kuhn: wie seid ihr denn aus dieser situation heraus auf diesen faden gekommen?

rohner: wir haben dann noch eine szene gefilmt, die wir nicht brauchen konnten. das heisst, vielleicht brauchen wir sie dann doch noch ... das war die hasenszene.

kuhn: das heisst, dass es bei diesem herumprobieren irgendwann eine erste szene gab, die ihr für brauchbar hieltet?

rohner: es war vor allem auch eine frage der zusammenarbeit, wie man aufeinander eingeht. das war neu. wir kannten uns noch nicht mit allen ecken und kanten. es ging darum zu spüren, wo man aufeinander eingehen muss und wo nicht. ich bin es gewohnt allein zu arbeiten, frank und patrik sind sich gewohnt alles zu besprechen. ich bin auch fast heiser geworden, weil ich es gar nicht gewohnt bin, so viel zu reden. das war wirklich neu für mich, immer alles zu besprechen.

kuhn: wie beurteilst du das jetzt? hat dieses dauernde besprechen etwas gebracht, oder war es nur nervig?

rohner: auf jeden fall hat es etwas gebracht. ich finde es total interessant diesen weg zusammen zu gehen und die lösungen im team miteinander zu finden. das gibt ganz neue möglichkeiten. du bist als künstler nicht mehr so allein und du kannst zusammen - wir haben ja alle drei schon erfahrungen - ganz neue sachen entwickeln. das gibt für mich jetzt ganz neue erfahrungen. ich finde diese dreier-konstellation wirklich sehr interessant. dass es funktioniert hat, ist ja auch nicht selbstverständlich, das gibt es nicht allzu oft.

frank riklin: was grundsätzlich schwierig ist bei zusammenarbeiten von künstlern, ist, dass weltanschauungen zusammenkommen, die schlecht mit kompromissen leben können. das heisst, beim zusammenarbeiten tauschen wir nicht die ideen aus und mixen sie zusammen und es gibt eine schöne arbeit daraus. es muss das ziel sein, dass man gemeinsam eine position aufreissen kann, man muss eine art fenster öffnen und sagen, das ist unser gemeinsamer künstlerischer anspruch. diesen punkt mussten wir zuerst erreichen. wir mussten uns zuerst kennenlernen, beim essen, beim kochen ...

rohner: genau, wir gingen auch nur einmal auswärts essen, wir haben immer zusammen gekocht ... dieses gemeinsame kochen hat einiges bewirkt ...

frank riklin: das meine ich genau. wenn man diese dinge gemeinsam macht, offenbart man sich auch persönlich. ich glaube in der kunst gibt es nur dann einen weg, wenn man tief im herz ansetzt und versucht ehrlichkeit anzustreben. das mussten wir versuchen zuerst zu erreichen, dass wir uns zuerst als menschen gegenübertreten konnten, um in diesem tiefen bereich arbeiten zu können. mit diesem ganzen prozess haben wir dann den rahmen abgesteckt und beschlossen, dass wir wirklich in diesem haus drin drehen. der film handelt im und ums haus. wir wollten mit dem haus arbeiten und wollten die gerätschaften die im und ums haus vorhanden waren verwenden für die geschichten. wir wollten also aus diesen geräten geschichten und szenen entwickelt, die in erster linie unserer lust entsprechen und nicht einer dramaturgie.

rohner: das hat sich so ergeben, weil viele dinge herumlagen. wir sehen ja dann tatsächlich noch eine szene mit einem traktörchen ... in diesen ställen hatte es verschiedene dinge, die herumlagen ...

[wecker läutet]

kuhn: entschuldige, dass ich dich unterbreche, wir müssen uns jetzt diese szene anschauen. ich glaube es ist jetzt zeit dazu. sonst reden wir und reden und vergessen diese erste exklusive filmszene zu zeigen ...

[filmszene «die sache mit dem gasflaschenschrank»]

 

die eigene künstlerische sicht

kuhn: stefan hat versucht zu schildern, wie die zusammenarbeit zu dritt funktioniert hat. was mich interessieren würde ist folgendes: pädi und frank, ihr seid ja ein duo und stefan kommt dazu, das ist ja wahrscheinlich anders, als wenn sich drei unabhängige leute treffen. wie war diese zusammenarbeit für euch? ihr seid es gewohnt zu zweit zu arbeiten, und jetzt kommt plötzlich ein dritter dazu?

patrik riklin: es ist ja nicht so, dass wir zwei immer gleicher meinung sind. deshalb kennen wir diese art von zusammenarbeit schon ...

frank riklin: seit wir zusammenarbeiten, arbeiten wir auch immer mit andern leuten, mit denen wir projekte in coproduktionen realisieren. dort ist die situation dann genau gleich, wir müssen uns mit weiteren leuten verständigen und man muss sich finden. wir arbeiten für ein projekt auch mit leuten in einem quartier zusammen und produzieren mit ihnen videoarbeiten. das heisst, wir beziehen leute ein in geschichten, die wir erzählen wollen. diese leute sind gleichwertige partner für uns, wir versuchen vor ort ein produkt herzustellen und müssen deshalb auch eine basis finden. das funktioniert vielleicht nicht genau gleich, wie im fall mit stefan ...

patrik riklin: ich glaube es gibt da schon einen unterschied, ob wir mit leuten arbeiten, die künstler sind oder nicht. stefan hatte ganz klar seine eigene künstlerische sicht und wir die unsere. und wir mussten uns finden ...

kuhn: um auf den film zurückzukommen, jetzt wo wir die erste szene gesehen habe, wie hat sich diese zusammenarbeit im filmprojekt konkret entwickelt?

frank riklin: wir haben mit einer szene begonnen und sind dann mit einer andern szene weitergefahren. die erste szene war «rallye». wir sitzen zu dritt im auto, im volvo, und fahren mit unseren helmen durch die landschaft. das haben wir versucht mit video einzufangen.

rohner: wir haben ungefähr zwanzig szenen oder mehr. behalten haben wir zwanzig ...

frank riklin: mit all diesen szenen ist dann vor ort schon etwas entstanden. verschiedene mögliche dramaturgische verläufe haben wir dort schon festgelegt. zum beispiel die rallye. wir haben uns als drei typen gesehen, die unterwegs sind und die einen auftrag haben und irgendetwas lösen müssen, ein problem ... so empfand ich meine rolle. wir kamen in unserem haus an. und dort entwickelten wir die geschichte weiter. und irgendwann ging es um diesen schrank. wir sind zum beispiel auch einmal in das haus eingebrochen. und wenn man einbricht, muss man doch auch ausbrechen. wir haben uns verschiedenes überlegt: was machen wir drinnen, was machen wir draussen. uns so haben wir begonnen, an eine geschichte zu denken. die geschichte lässt sehr viele fragen offen ... diese fragen haben wir versucht nachher dann in einem drehbuch zu klären. das haben wir aber erst im nachhinein zusammegestellt.

kuhn: die szene, die wir eben gesehen haben, suggeriert eindeutig eine erzählung. wenn man aber die requisiten sieht, die ihr hier ausgestellt habt, stellt man sich viele kleine geschichten vor. gibt es denn eine gesamterzählung, die der film erzählt?

patrik riklin: ja, die gibt es. der gasflaschenschrank ist dafür ganz zentral. man kann im film eigentlich den weg des gasflaschenschranks nachvollziehen. in dieser szene wird er aus dem fenster befördert, er wird mit dem traktörchen abtransportiert. er kommt dann später beim haus wieder an und so weiter ... irgendwann steht er im wohnzimmer, er geht dann in den oberen stock ... das sind alles tätigkeiten und handlungen die wir ausführen. es wird im ganzen film kein wort gesprochen, wir schauspielern nicht ... das war ganz wichtig für uns. ich bin hundert prozentig ich. auch wenn ich mich im film sehe, dann sehe ich mich nicht spielen und es ist mir peinlich. ich bin genau so.

frank riklin: dass das möglich war, hat sehr viel mit der inszenierung zu tun. wir haben uns nämlich vor probleme gestellt, zum beispiel: der gasflaschenschrank muss jetzt in den oberen stock und zwar darf er nicht getragen, sondern er muss gezogen werden. das heisst, wir mussten etwas bauen, das die möbel nicht verletzt, denn wir mussten das haus nachher ja wieder so verlassen, wie wir es angetroffen hatten. wir haben uns also vor probleme gestellt und haben versucht spannend zu filmen, wie wir sie lösen.

patrik riklin: eine szene ist mir gut in erinnerung, und da gibt es auch parallelen zu laurel und hardy. es war ein nachtdreh und die situation war folgende: der ofen stand im badezimmer und wir wollten ihn durchs fenster unbedingt wieder draussen haben, und zwar auf dem vordach. es war so, dass stefan vorausgehen musste. in dem moment, wo er draussen stand, merkte er, dass das dach unter ihm krachte. er merkte, dass das eternitvordach immer mehr sprünge bekam. wir haben gesagt, wir müssen aufhören, weil das dach jeden moment einstürzen würde. das ist genau der punkt bei laurel und hardy. sie machen etwas und lösen eine kettenreaktion aus. es bricht zum beispiel etwas zusammen und es geschieht etwas, das nie hätte geschehen dürfen. stefan stand auf dem dach, das dach war kurz vor dem einstürzen und der vermieter hätte das niemals sehen dürfen. am nächsten tag haben wir uns den schaden angesehen. wenn wir weitergedreht hätten, wäre stefan wirklich im untern stock gelandet.

kuhn: die szene habt ihr gefilmt?

patrik riklin: ja, aber nur teilweise. wir haben sie nachher auf der andern seite des hauses nachgedreht und wollten den schrank dort abseilen ... dieser gasflaschenschrank wurde mit der zeit fast zu einem lebewesen. wir haben ihn behandelt wie ein lebewesen.

 

die antworten wollen wir nicht geben

frank riklin: was für mich sehr wichtig war an dem projekt ist folgendes: als künstler fragt man sich immer, womit man arbeitet und was man mit einer arbeit aussagen will. das ist wirklich zentral. bei dieser zusammenarbeit kam ich in einen total fiebrigen zustand, je länger wir mit diesem gasflaschenschrank gearbeitet haben, desto mehr ist die lust am arbeiten gewachsen. um zu beschreiben, worum es eigentlich ging: schlussendlich wollten wir die ästhetik komplizierter handlungen darstellen, handlungen, die es nie gibt. wir wollten fragen aufwerfen: wie funktionieren wir zu dritt, wenn wir nie miteinander reden zum beispiel. diese fragen haben wir alle offen gelassen. es werden am schluss viele solche fragen aus dem film herauspurzeln, die antworten suchen. aber die antworten wollten wir im film nicht geben. schlussendlich könnten die antworten auch in dieser ästhetik drin liegen: wir vollbringen gemeinsam als team eine arbeit.

rohner: wir haben für heute abend bilder aus unserer kindheit mitgebracht. da sehe ich einen engen zusammenhang. wir sind sehr ernsthaft bei der arbeit und trotzdem ist auch alles sehr absurd. wir haben eine gewisse ernsthaftigkeit gezeigt, als wir gehandelt haben. wir haben auch oft über uns selber gelacht. wir waren aber sehr ernsthaft, wie kinder eben ... ich glaube das ist eine art, wie man es sehen kann ... vielleicht kannst du ein paar dieser bilder jetzt noch zeigen? es gibt hier zum beispiel dieses bild, wo ich einen helm trage, das war während meiner fotografen-lehre in der kanalistation von bern. weil ich so lange mit roman signer zusammengearbeitet habe, hatte ich mir das nie erlauben können, einen helm zu tragen.

frank riklin: ja und von uns gibt es auch ein bild mit helmen. wir gingen oft durch den wald und stellen uns vor, wir seien bergsteiger. das hat viel mit unserem vater zu tun, der mit uns in die berge ging. er trug dann jeweils den roten helm und pädi und ich die gelben. es ist genau gleich wie im film: stefan trägt den roten helm. er hat für uns ein bisschen diese vaterfunktion übernommen. er hat auch, wenn es ihm zuweit ging, ganz klar den tarif durchgegeben. es gibt wirklich fotos, wo es ganz verblüffende ähnlichkeiten gibt zwischen stefan mit helm und unserem vater mit helm.

kuhn: dieser film war also eine sehr komplizierte arbeit ...

frank riklin: ... das sind halt ganz persönliche erinnerungen aus der kindheit. was doch interessant ist: diese bilder die wir hier zusammen anschauen, haben wir für heute abend zusammengesucht, bilder aus der kindheit und aus dem privaten leben. diese bilder zeigen erstaunlich viele parallelen ...

rohner: wir haben in diesem haus in der normandie die ganze zeit geredet und erzählt und gespürt, dass es parallelen gibt. aber jetzt werden sie wirklich offensichtlich. aber es sind noch viel mehr ... zum beispiel auch auf dieser aufnahme ...

patrik riklin: ja, wir hatten früher eine grosse vorliebe für löcher und unterirdische gänge in den wäldern. diese vorliebe war inspiriert von räuber hotzenplotz, der irgendwo in der geschichte einen waldbodendeckel aufmacht und verschwindet. das war unser grosser traum. wir haben jahre lang an diesem gang gearbeit und mussten sogar meisseln, weil wir auf fels gestossen sind.

rohner: was für mich interessant war, war zu sehen, dass ich sehr viele fotos aus der kindheit habe. ich war sehr erstaunt, wieviel bildmaterial vorhanden ist. ich bin eigentlich gar nicht im fernsehzeitalter, sondern im amateurfotozeitalter aufgewachsen. man hat diese fotografiererei damals richtig kultiviert. wir haben als kinder viel selber fotografiert und auch gefilmt mit super-8. auch diese parallele hier ist frappant: oben sehen wir «eine stunde lebenszeit» ...

frank riklin: wir haben menschen in drei verschiedenen städten aufgenommen, wie sie ganz banale handlungen vollbringen: zähneputzen, briefe verteilen, suppe essen und so weiter. die menschen mussten sich nicht auf eine rolle besinnen, sie haben eigentlich sich selber gespielt. diese automatisierten formen haben uns interessiert ...

rohner: mein projekt hiess «unterwegs». ich habe mich von verschiedenen freunden und bekannten in alltagssituationen fotografieren lassen. ich selber habe immer die hauptrolle gespielt ... aber das thema ist doch sehr ähnlich. wir haben das voneinander nicht gewusst, haben aber mit der zeit festgestellt, dass es diese parallelen gibt ...

kuhn: was mir am meisten auffällt sind die parallelen im bezug auf diese ernsthaftigkeit mit der an sich sinnlose dinge gemacht werden, als kinder hier auf diesen bildern und als erwachsene in eurem film.

patrik riklin: es war uns immer ganz klar was wir tun. wir haben kindliche handlungen als erwachsene ausgeführt. es ist schwierig zu erklären: es sieht alles sehr ernsthaft aus, aber ob es letztlich sinn macht oder nicht, ist keine frage ... für mich macht es sinn, es wird keine sinnlose handlung vollbracht ...

frank riklin: sagen wir es so: als kind arbeitest du zum beispiel im sandkasten. da ist alles möglich. das haus war unser sandkasten. wir haben versucht darin zu spielen und wirklich sachen zu machen, die uns herausfordern. wir mussten um unsere ideen umzusetzen unser erwachsensein voll einsetzen ... da kommt viel dazu, was du als kind nicht machen kannst ...

rohner: wir müssen einfach zuerst einmal den film fertigmachen, dann sehen wir auch besser dahinter. der film setzt sich aus kleinen handlungen zusammen und daraus entsteht der ablauf ...

kuhn: war das ein schlussstatement? «wir müssen den film fertig machen, dann sehen wir mehr.»

 

 

 

 

 

 


das gespräch fand statt im rahmen des projektes «file sharing» matthias kuhn/wortwerk.ch im märz/april 2003 im projektraum exex st.gallen.
copyright (c) 2003 bei stefan rohner/frank und patrik riklin und matthias kuhn/wortwerk.ch
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