19940122 betrifft frankreich

mein lieber steinweg

 

 

 

> ich bin allerdings der dringenden meinung wir müssten, auch wenn noch nicht alle eventualitäten eingerechnet sind, soffort mit der neuerlichsten, vor einem jahr abrupt abgebrochenen frankreich-korrespondenz [1] weiterfahren, denn, das brauche ich dir ja wohl nicht weiter auseinanderzusetzen, ein solches unterfangen, und das haben wir bei unserer polenfahrt [2] aufs beste sehen und erleben können, will fundiert und intellektuell (intel inside) fortbereitet sein. schliesslich und endlich, wir wissen es genau und müssen uns trotzdem immer wieder aufs neue darin bestärken und bestätigen, kann die gute recherche, wenn nicht gar leben retten, doch das leben erleichtern. das wissen um die kontinentaleuropäischen wanzen- und grippegebiete, die aufklärung über klimatische gepflogenheiten und nicht zuletzt auch die berücksichtigung geistiger strömungen, die ja nicht unbedingt reaktionärrisch oder fundamenterrestrisch sein müssen, um in der lage zu sein, einen ganzen urlaub zu unterlaufen, können allgesamt die situation in einem fremden land maximal verbessern und angenehmer gestalten, gerade wenn das fremde land und der ausländische aufenthalt dergestalt in die nähe der biscaya und des azorenhochs rückt, allwelche meteorologischen gegebenheiten unser leben, wir wissen es, stärker beeinflussen als wir gemeinhin anzunehmen bereit sind. auch spricht man verallgemeinernd von einer mediterranen lebensart, welche, um nicht zu einer entscheidenden gefahr zu werden, analysiert werden muss, auf damit ihr richtig begegnet werden kann.

> bei dem enormen bewusstheitsgrad (BG) und der ständigen bereitschaft (SB) sich selber und sein tun, lassen und denken zu hinterfragen, kommen mir allerdings bei der überlegung obiger fragen auch gleich weitere und also neue fragen ins hirrn hinein, welche die obigen fragen verdrängen und folgende problematik aufwerfen: kann ein urlaub intellektuell im voraus verunmöglicht werden, kann ein vorhaben von der dimension eines frankreichaufenthaltes durch die analytische behandlung, hinterfragung und also zergliederung, durch die strikte und stringente planung, also durch die wiederholte und konsequente analyse erstarren und aus der realität in die fiktion gehoben werden, dergestalt, dass das vorhaben nicht nur den boden unter den füssen, den eigentlichen bezug zur wirklichkeit, die gründung im alltag, und also im leben, verliert, sondern ganz und gar und für immer diese gegenständliche welt verlässt und als exotisches, sich durchaus immer weiter verdichtendes konstrukt und also als eigentliches hirngespinst abhebt und so der eigentlichen realität, oder dem was wir dafür halten, zu widersprechen beginnt und diametral zuwiderläuft und letztendlich die eine frage im raum stehen lässt: kann die persönliche fiktion der realität die realität verdrängen und uns glauben machen, was wir wirrklich erlebten sei schal und langweilig und, hier die eigentliche problematik, unwahrscheinlich und unwirklich, weil wir uns so sehr in die irrealität der möglichkeit geflüchtet haben, dass diese wirklicher geworden ist als die wirklichkeit, oder was andere dafür halten? kann uns solches denken und schreiben, also fühlen und empfinden den urlaub vergällen?

wie sollen wir damit umgehen?

gruss: wenzel

 

 

 

[1] abgebrochenen frankreich-korrespondenz. Bereits ein Jahr vor der laufenden Korrespondenz, 1993, hatten Steinweg und Wenzel eine Reise nach Frankreich geplant, die dann allerdings aus unbekannten Gründen offenbar nicht stattgefunden hatte. [zurück zum Text]

 

[2] polenfahrt. Franz Wenzel und David Steinweg waren, nach Angaben von Wenzels früherem Arbeitgeber, dem Bibliothar Bernhard Sorge, bereits in den späten 80er-Jahren zusammen nach Polen gefahren. Vermutlich ging die Reise in die Masuren. Wenzel schrieb im Herbst 1988 in seinen Notizen: «die see en platte / die see seen. / wait und leer / die see land schafft.» [zurück zum Text]

 

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