19940124 betrifft redefluss und abreise

mein lieber steinweg

 

 

so gefällts mir doch besser, wenn einer profan sein will dann soll er auch: ich wäre der letzte der gegen ein schönes outing, zumal eines als profaner wäre, weil letztendlich der geoutete mensch sich doch so zeigt wie er ist, endlich! (dass du allerdings einiges an intellekt vertuschen und einiges an mühe sparen wolltest, scheint mir recht erkannt.) was mir richtig scheint, ist schlicht dies: die reise am start zu beginnen. der start ist wahrlich ein würdiges thema.

> dennoch muss ich zuerst noch ein anderes thema vorschieben, gewissermassen, meinen letzten fax doppeln und sagen: ich finde eigentlich (und das soll auf keinen fall untergehen oder im falschen lichte stehen), ich finde also den redeschwall, das wörtermeer, das wellenspiel der sprache, das mäandern des sprachflusses, das wirrklich beste, das instrument eigentlich, das wir haben um einer sache, und gerade einer sache wie der des reisens, auf den grund zu kommen. in dieser haltung bestärkt mich eben heute sonntagmorgen der herr schrott der schreibt: «sein [er meint leider ein bisschen einschränkend des gedichtes] impetus erhält im mäander der form immer wieder neue, unvorhersehbare anstösse, bis es schliesslich seine mitte erreicht.» soweit der nachträgliche einschub. und weiter: denn schau: was ist das hier anderes als ein fluss von wörtern, ein springender bach zuerst, der aus dem gebirge des hirrns kommt und wild schäumend durch augen, ohren und nase hinunter sich ergiesst und sich schliesslich in das spundloch des rachens stürzt, voll der sinne, voll der wörter in das verzweigte röhrensystem des körpers fliesst und über die mägen und über die lungen hinein ins blut gedrücket wird und so zurück in den verstand, den kopf kommt und schliesslich aber auch über die därme hinaus, hinaus ans licht sprudelt? was sind solche reden anderes als fruchtbare flüsse, die löss und erde mit sich führen und die böden nähren. himmelsmusik im ohr des empfängers: und nicht, wie oft fälschlich kritisiert, grund für verstopfungen des gehirns, und wie wir oben sahen, der gedärme.

> du schreibst also über den start. also gut. wie das wort uns heute das wohlorganisierte aufbrechen, das geplante und zu einem vorher festgelegten zeitpunkt abreisen, oder wegrennen, vermittelt, so ist doch das wort start mit dem wort stürzen entfernt verwandt, worüber mich höflichst der herr wahrig ins bild setzte und also aufklärte. stürzen ist nun allerdings das gegenteil des beschriebenen startens. stürzen findet übereilt, unplanmässig statt und erinnert eher an die aus gründen der überstürzten (sic!) flucht in szene gesetzten abreise. dieser kleine etymologische ausflug soll uns auf den wahren gedanken, den wirrklichen grund für unsere geplante abreise bringen, denn schliesslich wird die eine oder andere art des startes auch den inhalt der reise wesentlich (und somit westlich) mitbestimmen. START: wer startet wählt ein ziel, bewusst und ordentlich, steuert es an und freut sich auf die ankunft. STURZ: wer sich in die reise stürzt, dem geht es um das fortkommen von einem ort, an dem er aus welchen gründen auch immer nicht mehr sein will.

ich glaube mit der generalstabsmässigen planung der unternehmung pesenas sind die weichen bereits gestellt, wir haben uns für einen start entschieden und werden uns demgemäss auch vorfreuen, wie es sich, mindestens definitionsgemäss, gehört.

ein gruss: wenzel

 

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