19990202 betrifft troupe de monsieur
im anschluss an den gestrigen brief scheint es mir richtig, einiges zu klären. für meinen widerwillen gegen den hochwohllöblichen herrn goethe habe ich mich nicht zu entschuldigen. du magst ja auch nicht alles, was lebt. einmal angefangen bei den nachbarshunden. den kläffern menschlichen gestüts und der schleimigen würmerbrut im boden. ich möchte hier nur sagen, dass mir pesenas und molière lieber sind. auch wenn ich weiss, dass er von pesenas fortzog, um sein gehalt aufzubessern. oder wie in den literaturbüchern umschlüsselt steht: er wollte seine italienische konkurrenz der comici dell'arte in den griff bekriegen. nun das gelang ihm. und wo denn sonst, als in paris. wohl auch, weil ihn niemand nach weimar holen wollte. aber das war denn doch ein wenig später, ehrlicherweise. nach dreizehn jahren in der provinz gelang es ihm also, seine wichtigkeit mit der von ihm geleiteten troupe de monsieur zu unterstreichen. das war 16591118 mit der première von les précieuses ridicules im théâtre du petit-bourbon. eine sache und zwei fragen dazu: erstens war es das erste stück des meisters, das gedruckt worden war. erste frage: warum lachen die ärsche (oder ist es ein italofranco befehl: lach, du arsch!)? zweite frage: warum heisst ein theater kleines lutschzeug? du brauchst diese fragen nicht zu beantworten, denn du weisst: fragen stellen sich selber und dienen der unterhaltung. meist mehr als deren lösung. was aber über der ganzen problematik steht, ist das grosse rätselraten, warum der herr molière mit seiner ganzen theatertruppe vom schönen süden in pesenas in den trostlosen norden marschierte. paris liegt immerhin auf der nördlichen breite von wolgograd. und du weisst, dass es dort saukalt sein kann. demgegenüber ist pesenas zwar verdammte provinz, aber eben wärmer. denke nur an die fortpflanzungsgeschwindigkeit des frühlings! und dann gab es da auch noch andere nachteile für die schauspieler: die kriminalität in der hauptstadt, der verkehrslärm und die fehlende französische revolution, ohne die wir uns keine gesellschaftliche vorteile gerade für verdammte schauspieler vorstellen können. ein dilemma also, in dem molière steckte, nehme ich an. vielleicht konnten sich die menschen in pesenas die eintrittspreise nicht leisten und so musste molière, gleich einem mose, mit seinen leuten fort, fortziehen, in die verheissene stadt. nun, du weisst es selber: alle leute wollen nach paris, irgendwann. und wenn sie dort umkommen. molière wollte auf die tour deiffel klettern oder im bois de boulogne spazierengehen. er wollte eine schifffahrt auf dem busen (le sein, la gorge) machen. oder er wollte auch nur vornehm leben: mit mikrowellenherd und nestléspezialitäten. wir, die wir aus dem verdammten nordnorden kommen, können uns solche geografischen verschiebungen nicht direkt vorstellen. wir fahren in den süden, auch wenn dort kein schnöder mammon zu erwarten ist. wir geben das gold dorten sogar leichter aus. und wir würden nur schon für die vorstellung des südens hungern. das würde uns erquicken. das alleine und mit recht. trotz dieser überlegungen scheint es mir angebracht, den herrn molière, der mit bürgerlichem namen als hans-baptist angeredet wurde, ans herz zu schliessen. er ist mir lieber als der johann-wolfsburg. ich schlage dir deshalb vor, dass wir in unserem ferienschlösschen eine sporadische theaterverstellung uns zuliebe organisieren, dabei unsere ärsche lachen lassen und kleine bonbons schlonzen und auf die deutsche dichtung spucken. wir spielen rollen aus dem gedächtnichts und widmen alles dem könig von frankreich. 1 grusz: steinweg
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