19990207 betrifft frankreich im sommer

lieber jean.

 

 

> wie du weisst, bereiten wir (welches sind: wenzelaus und ich selbst) uns auf den sommer vor. wir erörtern die frage von start und sturz in die ferien und überlegen uns, ob wir zuhause die häuser anzünden sollen, um heimweh zu vermeiden. die helvetiker machten das achtundfünfzig vor christus ebenso, bevor sie nach pesenas zogen. die geschichte kennst du. denn als sie vom herrn zäsar in genf umgeleitet wurden, kriegten sie in bibracte noch dazu eines auf den schädel. wir haben uns daher entschieden, nichts anzuzünden. man weiss ja nie. und vielleicht auch ist der verkehrstau wieder einmal so immens, dass wir nicht über schwaderloh hinauskommen. denn du weisst: alle wolle im sommer nach süden. auch die germanen und man könnte meinen, alle lastwagenheizer wohnen in südfrankreich. daher: laisse béton, mon chér.

> ein anderes auch ist der zeitvertreib in südfrankreich. über die abneigung zu einem herrn goethe und der literatur (wortstamm: le lit; literatur kann nur liegend betrieben werden) und dem dreizehnjährigen wohnort des molière in pesenas, wollen wir im garten ein kleines, jeweils frisches theaterstück inszenieren. dabei haben wir uns auf junge schauspielerinnen geeinigt und selber werden wir dann die rollen der jungen schauspieler übernehmen. dabei sollst du wissen, dass das alter weniger eine wichtigkeit hat als das innere empfinden.

> zum théâtre unter birken ist folgendes zu sagen: unter birken lässts sich gut speisen (nach den proben und der aufführung auch) und zudem haben die birken etwas gemeinsam mit dem franzmannenspiel mit den kugeln. 1 birke heisst le bouleau. 1 kugel heisst la boule. wenn das kein zufall ist, heisse ich auch hase (ich habe dem franzhas deine geschäftliche faxnummer zur erklärung seines namens preisgegeben, mach dich also gefasst!).

> was die vorbereitungen weiterhin angeht: wir haben festgelegt, dass sie zwar wissenschaftlich fundiert sein müssen, aber eher der unterhaltung dienen als dem diskurs selber. und so hat wenzelaus sich auch eigentlich gar nicht darauf eingelassen, als ich ihm geschrieben habe, dass die fortpflanzungsgeschwindigkeit des frühlings von süden gegen norden durchschnittlich sechsundzwanzig kilometer beträgt. ich denke, das liegt ebenso in der natur der sache. und ich kanns ertragen. hauptsache ist, wir freuen uns auf die galloromantische lieblichkeit der temperaturen und der kulinarischen kultur.

> was das essen anbelangt, muss ich mit wenzelchen vielleicht noch einen kleinen plan erstellen. man muss schon im vornherein genau wissen, welche käse aus der palette der rund 365 sorten camembert besonders reichhaltig sind und wie das preisleistungs verhältnis übereinstimmt. auch die hühner, rösser, lämmer und rinder wollen genau auf dem speisezettel verteilt sein. und muss das gemüse nun jung sein oder nicht? lauter fragen also, die es zu regeln gilt.

> estelle sagt zwar, dass unsere vorbereitungen kindisch seien. und dass wir spinnen. aber sie weiss genau, dass man davon nur profitieren kann. darum auch lässt sie uns spinntisieren und bereiten (kochen sowieso). du siehst: alles ist sehr wichtig. und: vive la france, le bouillon et le pastis. 1 grusz. steinweg.

 

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