19940207 betrifft kulinarische genüsse
> da der jean (pignon) die initiative ergriffen hat mit einem fax, so denke ich, dürfen wir ihn gerne miteinbeziehen in die vorbereitungen. und beim schreiben des dir vorliegenden zweiten textblattes kam mir die idee, einen weitergehenden vorschlag zu machen: sende mir die disposition zum théâtre improvisé und ich werde dir dann einen speisezettel darauf abstimmen. schliesslich dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass rjean davon überzeugt ist, mit zwei köchen zu reisen. womit er nicht unrecht hat. > du weisst ja, dass das filet de lieu vom grunde her des meeres kommt. und gerade deshalb denke ich, dass wir gerade im kulinarischen bereich kompetent peinlichkeiten vermeiden sollten. gleich dem IFS sollten wir hier ein gütesiegel ins leben rufen: es könnte MAF (manger avec feingefühl) oder CLC (caresser la cuisine) heissen. vielleicht ist die fusion der beiden wörter mit einem zusatz von notwendigkeit. denn auch das fachgerechte einkaufen gehört dazu. du weisst: kochen ohne einkaufen ist nur möglich, wenn man die frischprodukte im eigenen garten hat. dazu möchte ich anmerken, dass die pflege des weines, sollte er sogar noch gutjahrgängig sein, dezennien in anspruch nehmen könnte. > letzten sommer haben wir keine speisesorte mehr als einmal auf dem kalender geführt. rösser kamen drin vor, schweine, hühner, meerfische, lämmer, kälber, ja sogar truthahnen wanderten in die pfannen. mit dem auswärtigen gaststättenbesuch, der dann als verdoppelung einer speise gar nicht in betracht gezogen wurde, ergab dies keine langweilige fresserei wie in italien, wo das mehl fast täglich durch den magen geht. nichts gegen pasta. beileibe nicht. aber gerade bei den hauptspeisen darf man nicht eintönig werden. das rate ich allen feinen schmeckern. > gut. wie soll man ein theater improvisisieren, wenn dafür schon ein halbes jahr früher ein plan für das essen exisiert. du hast recht. aber: improvisation orientiert sich an sinneseinflüssen. woran denn sonst. wodenn eigentlich mehr? darum ist es mir ein anliegen, das essen in die erörterungen miteinzubeziehen. > nur zu gut wissen wir, dass sich die französische küche ihren guten namen in den töpfen der reichen abspielt. französinnen kochen nicht besser als schweizerinnen. und einmal abgesehen davon habe ich es viel erlebt, dass le menu im teller kalt gereicht wurde. dies, weil alle solang schwatzten, bis es zu spät war. das käseplätzchen von findus war zwar lebendig angebraten, aber furchtbar lauwarm und ungeniessbar. > ich bin der ansicht, dass wir keine fertigwaren anbraten sollen, sondern frischwaren vom markt. ein zusätzlicher spass ist dann auch das bereiten von am vormittag rasch gepflückten vögeln, erdgetier und wassersachen. > der französische tag beginnt langweilig. ist klar. aber fein. mit croissants und pein au chock-o-lait. die kinderlein haben einen sprachenkurs verdient und sollen in die boulangerie lernen gehen. und wenn der schöne fischer nur schon chocolat hört, wird ihm ganz emsig in den beinen und er geht halbe kilometer weit weg, um anzuschaffen. mit glace und bonbon ist es dasselbe. das alles haben wir jedenfalls nicht einzukaufen, die helferinnen und helfer stehen in den startlöchern. > das salz und das gepfeffer wird unsere aufgabe sein, mein freund. wir dürfen uns darauf freuen. schon deshalb, weil wir dann keine vollkornspaghettis aus den reformhäusern exportieren müssen ... 1 grusz. steinweg.
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