19990207 betrifft CLC II und zwischenspiel

mein lieber steinweg

 

 

> wie du siehst habe ich mit reinem wissen und gewissen an jean (pignon) den bacchantischen miet-streiter, plutos schlechthin, geschrieben. was mich nun doch einigermassen schockiert ist, dass du an ihn schreibst, dass deine geliebte, die schöne hebe, unser tun, trotzdem sie es uns weiter bewilligt hat, kindisch findet. sollte es wirrklich nicht möglich sein, auch nach ihrem geschmacke fortbereitungen zu treffen und themen zu finden? sollte es wirrlich nicht möglich sein eine diskussion zu führen, allwelche im tonfall auch ihren interessen und gepflogenheiten entspricht? ich werde dir, bis sich ein weiteres treffen anbahnt, gerne die stimmführung überlassen, bin allerdings der meinung, ihr müsstet weitere sitzungen anberaumen, um diesen missstand gründlich zu diskutieren und auszureden. wenn dann das ganze schöne geschwür erst in frankreich platzt, mein lieber, dann kann ich dann nichts mehr dafür.

> CLC II (caresser dans la cuisine). bitte um einführung der zweiten stufe des CLC-zertifikates! vielleicht bietet sich eine kombination CLC II/FAJ (+ faire l'amour dans le jardin) an. aber ich bin abgeschweift. mit MAF/CLC bin ich einverstanden. was du zu den gepflogenheiten unserer mediterranen küche schreibst gefällt mir sehr und ich pflichte dir im allgemeinen und im besonderen bei. es lebe der lange lauch vor der eingebüchste erbse, es lebe die frische, rote tomate vor der schrumpligen pellati-tomate gleichen geschlechts. und oh, es leben die lebenden tiere im wald und auf der heide (gerade, weil sie auf dem teller wohlschmeckender sind, als die armen zuchtvarianten).

> das textlose zwischenspiel. die szene ist ein sanfter bachlauf im park des schlosses, die mädchen und knaben, die herren und damen lagern beidseits im schatten. ein junger sänger singt ländliche weisen, es werden trauben und orangen, äpfel und grapefruit gereicht, es wird wein getrunken und kristallklares wasser. es herrscht eine fröhliche aber kontrollierte stimmung. nahe dem lagerplatz äst ein reh im dickicht, ein hirsch säuft am bach. dann, die stille jäh unterbrechend, bricht eine wildsau aus dem unterholz hervor und durchquert mit furchtbarem brüllen den lagerplatz. die essenden und trinkenden springen auseinander, es gibt ein ziemliches durcheinander. die männer nehmen die verfolgung der wildsau auf und bringen sie ein paar stunden später auf einen langen dicken stock gebunden zurück (eine einheit der zeit ist in dieser szene auf keinen fall anzustreben!). die wildsau wird nun für den abendschmaus zurechtgemacht, es herrscht ein emsiges treiben, nicht nur in den küchen des schlosses und unter den bäumen, wohin man sich zurückgezogen hat. allenthalben biegt sich ein junges bäumchen unter der last der kurzfristigen bewohner, zittert ein gebüsch wild und wogt. so zieht der abend unter vielfältigen gesprächen herauf und alles ist nach dem vorspiel auf dem proszenium und dem kurzen zwischenspiel, welches die stimmung vermitteln, die friedfertigkeit des sommers zeigen wollte, bereit für den ersten akt, dessen rahmen wir in einem weiteren schreiben entwerfen wollen (vielleicht, nachdem wir uns bei dem herrn molière, der leider zurzeit ortsabwesend ist, kundig gemacht haben, welche themen ort und zeit verlangen und was also an themen und handlungen für die fünf akte unseres leichten schauspiels in frage kämen.)

herrlichste grüsse: wenzel.

 

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