19940418 betrifft duke und abraham

mein lieber steinweg

 

 

> im hintergrund wird in einem kleinen braunen buch geblättert (originalgetreu sozusagen) im vordergrund liegt ein wüster schnee in meiner aussicht und bringt mich auf falsche gedanken. ausserdem, in dieser minute, ist die nebelwand über die waisenhauskrete gerutsch und es beginnt zu schneien: sternberg ist weg, das kleine braune buch zu und, oh, die schöne angelica hat rhythmus im leibe (auch: als hätte sie lieb im leibe, als hätte sie lieb im la-hei-be!).

> da wir über die alltäglichen exkremente, die ein freund des volkes absondert, bereits geredet haben und ich dir einiges verständnis in dieser sache entgegenbringe und auch du dir selbst nicht mehr böse bist, zu dieser leidigen sache nur noch zwei bemerkundungen: primo: was das eigentliche übel an der sache, die du derart glaubhaft beklagst, ist: dass sich das (alltax-/berufs-) leben aus lauter kleinsten unwichtigsten und folglich zu vernachlässigenden kleinigkeiten zusammensetzt und es am schluss auch tatsächlich diese kleinigkeiten sind, die die durchaus volksfreundliche tageslaune verderben. denn es ist doch eine berechtigte frage, was obstfront und bibliothektsbusse (deine beispiele) und der überfall auf den tengoreer kiosk und auch schulische sonderwochen (meine ergänzung mit farbfoto) für die zwar jederzeit interessierte, aber auch allseits und durchwegs und naturgemäss dumme bevöllkerung für eine relevanz haben? secondo: die abstimmung ist ja jetzt im kasten und auch die von rechtsaussen können nur noch warten (und hoffen) und die ganzseitigen inserate in den tages-zeitungen (und die leserbriefe und telefonanrufe) haben keine wirkung mehr. freilich hoffen wir vereint, sie hätten auch im vorfeld nicht allzuviel wirkung gezeigt und unser nöldi sei erfolgreich gewesen: dann können wir immerhin von jetzt an ein leben ohne brautabgaben und sklavenhandel führen, und was schön wäre: ein leben unter menschen.

> und schliesslich noch eine episode aus der geschichte, die zeigt, wohin übermässiger zorn führen kann und was er anzurichten imstande ist: «Wenceslaus König in Böhmen hat sich über seinen Mund-Koch dergestalt erzörnt / umb weil er ihme einen Cappauner nicht recht gebraten / dass er denselbigen hat lassen lebendig an Bratt-Spiß stecken / umbtreiben / und mit eignen Blut begiessen.» also lehrt uns der bereits früher erwähnte abraham a sancta clara, der augustiner-barfüsser, eigentlich ein unbeschuhter augustiner-eremit. seine weisheit ist grenzenlos, weil er in beispielen redet, alswie es sich für einen prediger gehört, die die leute sofort verstehen können und aus denen sie ihre schlüsse, welche auf das leben wirken sollen, sofort ziehen können. nur, und das macht ihn zum philosophen, fraget er nie: «und was können wir daraus lernen?» obwohl er die frage allentwegen auf der zunge spüren muss. so sagt er zum beispiel weiter unten: «Die Zahl diser Narren [der velognen Narren nämlich] ist über alle massen groß / ihr Zechmeister und Ober-Haupt ist der Teuffel selbst / welcher ein Vatter der Lugen genennt wird: der Lugen aber seind sehr unterschidlich / etliche die in Duodez eingebunden / etliche in Oktav, in Quarto, welche aber in Folio, solche seind gar abscheulich.» und so, mein lieber steinweg, sind wir schliesslich wieder bei der zeitung gelandet, für welche, du weisst es wohl, die worte abrahams gelten können, wenn wir sie verstehen wollen.

gruss: wenzel.

 

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