19910424/25 betrifft narren und dienstmägdchen

mein lieber steinweg

 

 

> endlich bin ich fähig dies zu schreiben: die narren stehen mir nahe, dein dienstmägdlein regt meine fantasie tüchtig an. deshalb also ein letztes, wie du verlangst, wort zu den narren und dann zur sache und zur suche. ich habe getrühlichst in der zwischenzeit encomium moriae durchgelesen und interessantestes gefunden, dieweil ich den erasmus recht nach wissen und gewissen habe schätzen und lieben gelernt. neben dem schlichten wissen, dass die torheit die tochter des jupiter höchstselbst und der nymphe jugend sei, und dass sie an den üppigsten brüsten der methe, welches ist die trunkenheit und der apaeida, welche heisst die beschränktheit, genährt ward, habe ich gesehen, dass in ihrem gefolge, neben eigenliebe und schmeichelei und allerhand anderen personae auch die götterknaben ausgelassenheit und siebenschläfer sich umtun, habe ich ebenso gefunden als auch gelernt: «Unseres Zeichens [also der torheit anhängend, anm. k] sind zweifellos ganz und gar die Liebhaber lügenhafter Wunder und Weissagungen, ob sie nun bereitwillige Zuhörer oder Verbreiter sind. Sie sind unersättlich, wenn irgendwo Schauergeschichten von Erscheinungen, Totengeistern, Gespenstern, Abgeschiedenen und tausenderlei Wundern dieser Art berichtet werden. Je unwahrscheinlicher sie sind, desto bereitwilliger werden sie geglaubt und um so angenehmer juckt und kitzelt es in den Ohren.» woraus, mein lieber, ich zweifelsfrei schliesse, dass wir narren seien und der torheit huldigen, nicht so sehr wegen intellektuell nekrophiler vorlieben, allerdings wegen dem lügen- und wunderglaube, der, ich wage es hier zu schreiben, uns erregt und in die wellen der fantasie hinunter zu stürzen vermag, worin wir freilich nicht untergehen, sondern woraus wir erstarkt entsteigen, um von neuem der torheit zu huldigen und neue lügenhafte geschichten und wunder zu erzählen. «Der Geist des Menschen ist nun einmal so angelegt, dass der Schein ihn mehr fesselt als die Wahrheit.» oh, ja.

> du verlangst das anforderungsprofil für das geeignete feriendienstmädchen, das uns nach frankreich begleitet. lass mich dazu die einfache formel prägen, die eigentlich, ich bin mir dessen gewiss, alles sagt: das dienstmädchen muss uns, primär und ausschliesslich als mädchen zu diensten sein! deshalb entwerfe ich hier und jetzt im sinne der ferienvorbereitung das inserat für den deinen volksfreund, um in nützlicher frist den posten des uns begleitenden und zu diensten stehenden mädchens besetzen zu können. (vielleicht ist es nur gerecht und notwendig, dass ich in klammer, dass ich zum soundtrack eines céline dion-konzerts in memphis tennessee schreibe und dass ich, vor allem in trunkenem zustand wie jetzt, gestehe, dass ich die protestantische kühle und klarheit der stimme dieser frau, in ihrer kargen und schmalen hässlichkeit mit der kaas vergleichbar, liebe, denn sie lässt keinen zweifel.) nun aber weiter: mit einem einschub vor dem eigentlichen vorschlag für ein inserat. ein dienstmädchen verlangst du also, nun ja, natürlich bin ich höchlichst einverstanden, wenn wir ein biegsames dienstmädchen mitnehmen und selbstverständlich bin ich fantast genug mir ein richtiges mädchen vorstellen zu können, in all seinen geeigneten eigenschaften und charakterlichen neigungen, ein mädchen also, das seinen aufgaben in jeder hinsicht gewachsen ist, ein mädchen auch, das nicht nur im haushalt und in der küche, gerade in der küche, sondern auch im intellektuellen innendienst herausragendes zu leisten imstande ist. wir haben uns viel vorgenommen damit, ein mädchen zu finden, das uns alle befriedigt: die hebe zuvörderst, den pluton, dich selbst und zuletzt auch mich und: das freundlich ist zu den kindern? nichts desto trotz will ich nun sofort das inserat aufsetzen, anhand dessen du ohne zweifel merken wirst, dass wir uns eine schwierige aufgabe gestellt haben.

Gesucht wird, für Ferienreise in den sonnigen Süden, zu Familie mit (schöner) Frau, (starken) Männern, (intelligenten) Kindern, ein protestantisches

Dienstmädchen

um die zwanzig, üppig und hoch gewachsen, für alle Arbeiten im Heim und am Herd, am Strand und für den Wachdienst. Bewerberinnen mit Fremdsprachenkenntnissen und abgeschlossenem Studium in Geisteswissenschaften werden bevorzugt. IFS (Internassionales Fahr-Sytem) und DIFK (Diplom Internassional: Franssösische Küche) können während des Aufenthaltes erworben werden. Wenn Sie sich für die Stellung (vom xy bis zum xy) interessieren, senden Sie Ihre Bewerbungsunterlagen an: SBWK, xy, xy. Informationen unter Telefon xy, verlangen Sie unseren Herrn Steinweg.

du siehst also, mein lieber, ein solches mädchen wie ich es mir vorstelle, jung und schön wie eine griechische göttin (pallas athene in ihren besten tagen), gebildet und interessiert wie eine platon-schülerin und fähig, den haushalt zu unser aller zufriedenheit zu führen, des tags und des nachts, werden wir nie finden. trotzdem wünsche ich dir bei der suche viel glück. (ich muss auch sagen, dass es für mich, bei allem pessimismus in der angelegenheit, ausser frage steht, dass wir ein dienstmädchen brauchen, und wenn auch nur aus dem grund, dass das männer-frauen-zahlenverhältnis in ein besseres gleichgewicht komme! denn: ehrlich gesagt: kochen werden wir wahrscheinlich besser selber, fahren auch, gescheit sein und töricht: wer könnte uns da folgen!) soviel also zuerst zu deinem allgemeinen aufruf und der anmeldung des bedürfnisses ein dienstmägdchen einzustellen für die ferienfahrt.

> wir haben jetzt also das anforderungsprofil entworfen für unser mägdlein, nur, sage mir, mein lieber freund, müsste unsere magd nicht eigentlich und wenn schon (und damit schreiten wir weiter in allgemeingefährdliches territorium) einem mägdchen-bild entsprechen, allwelches uns über das übliche hinaus befriedigt und befreit, das uns weiterbringt und begleitet, bis ans ende unsrer tage? macht es sinn, ein mägdchen nur für den urlaub zu suchen, «Und plötzlich werden meine Seufzer laut», müsste unser holdes mädchen nicht fürs Leben gut sein? «Zum Tode führt die Strasse, die ich schreite. / Ich weiss es [...], doch sie führt zu dir», wollen wir sagen können und nicht am schluss, wenn wir unser französisches gut verlassen, vorbei an vaucluse und ventoux, heimwärts fahrend: «So fliesset, Tränen! Fliesset von den Wangen / Des Schmachtenden in bittren Strömen hin!» wir wollen nicht sagen müssen: «Ich stand vor ihr, sie liebend zu verehren, / Mein Herz zu öffnen, doch die Lippen lallten». oder am ende, kurz vor der regelrechten und endgültigen rückkunft: «Schau nieder auf die heimatlichen Fluren / Und sieh, wie - schmerzlich deiner zu gedenken - / Mein dürstend Sehnen sich mit Tränen netzt.» vielleicht, trotz inseratentwurf und fliegenden wünschen und plänen, lassen wir es einfach sein und sind uns selbst genug. wie sollen wir suchen, was nicht zu finden ist.

in diesem sinne und mit den tiefstempfundenen grüssen an die familie: wenzel.

 

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