19940531 betrifft voyage à paris

 

 

 

das ist eigentlich recht gemein von dir, einfach so nach paris abzureisen. denn ich weiss, dass du damit uns gegenüber bis zu den sommerferien einen riesenvorsprung an kultur herausgescheffelt haben wirst. denn in paris ist ja bekanntlich alles viel französischer als auf dem land, wo wir dann hinfahren. deine kulturellen gepflogenheiten werden geschmeidiger sein als unsere. du kennst das café de paris und les filles parisiennes und du lernst schnell zu artikulieren. wenn nicht, lernst du wenigstens, schnell auf schnelles zu reagieren und schnell zu vergessen, was du nicht verstanden hast oder einfach schnell zu improvisieren. deine schnelligkeit wird uns vielleicht aber auch nützlich sein in den ferien. du wirst noch schnell für uns einkaufen gehen können oder schnell ein problem lösen. darum habe ich nun auch meine meinung geändert. so wie das beim schreiben eigentlich immer ist. man beginnt mit einer these, die man dann (schnell) selber widerlegt. also: das mit deiner reise ist eigentlich nicht gemein, sondern hilfreich. und ich danke dir im namen der famille für die wichtige exkursion in die hauptstadt. du wirst dich sicher für unsere reiseangelegenheiten einsetzen können. beispielsweise im élysée: dort wohnt chirat, die salzgurke. du gehst hin und sagst: grüss dich, jakob. wenn er dich nicht versteht; das macht nichts. du sprichst einfach das selbe nochmals aus und sagt weltläufig: ciao, giacobo. wenns immer noch nicht klappt, denn du weisst, franzosen sind ignoranten, dann sagst du: bonjour, mon président. ça va? und dann kommt das improvisieren, denn er wird deine französischkenntnisse schamlos ausnützen. wenn er dann fertig gesprochen hat (bedenke: auch sein tag hat nur vierundzwanzig heures) dann ersuchst du ihn nach einem touristenstipendium. du beantragst den freien verzehr von croissants und eine gewinngarantie fürs boulespielen auf der piazza (oder so). und du fragst ihn, ob er es nicht plastisch sehen würde, uns ein für läppische zwei wochen beschränktes generalabonnement für casino, continent und den champion zu überreichen. wir würden es in ehren halten und rege gebrauchen. und: sag jacques einen gruss von mir, denn schliesslich werde ich im winter ein selbiges auto fahren (auch in derselben farbe) wie er nach dem wahlsieg über die champs elysees. und dann fragst du ihn auch, ob er uns einmal besuchen kömmt in pezenas, denn der leibkoch von dir (damit kannst du mich dann durchaus meinen) würde ihm eine richtige züricher röschti backen (und frecherweise dafür schweizer herdöpfel und butter mengenweise über die grenze schmuggeln). du sagt ihm, er wäre recht herzlich eingeladen, wenn er sich anständig verhalte und sein chauvinistisches raketengeplänkel einstelle und die soldaten wie ein segel achtern einziehen könnte. das sagst du ihm besser gleich jetzt, denn wir wollen ihn ja dann nicht hinter der röschti vor den kopf stossen. im übrigen erwarte ich von dir das testen von mayonnaise und olivenöl, das wir dann in frankreich kaufen werden. und nett wäre es auch, wenn du die preisentwicklung bei peperoni und spinätsch bis mitte juli erfragen, beziehungsweise hochrechnen könntest. was dir aber verboten ist: du darfst keinesfalls übungen in bezug auf pétanque oder auch boules (de quoi) anstellen. das wäre unfair. denn schliesslich möchte ich auch einmal gewinnen (ich kann dir sagen: der jean (pignon) wird in den ferien von tag zu tag besser). das also sind deine aufgaben in paris. trinke einen guten café de paris und esse feine baguettes d'or, wie es sich gehört. also nun zum grusz: steinweg.

 

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