19990706 betrifft letzte einschätzungen mein lieber steinweg
> ich will nun also, mein anmutiger freund und bruder, den faxverkehr abmelden und dich zu den ferien begrüssen. da ich nun eben eine zusammenfassung von sage und schreibe allen 150 psalmen getippt haben, will ich profitieren aus dem fundus des herrn. «Mein Herz wallt auf von anmutiger Rede, singen will ich mein Lied dem König; meine Zunge ist der Griffel eines gewandten Schreibers.» und dann will ich, weil du richtig die israeliten als ein grosses volk von grillern und weintrinkern darstellst, darin einstimmen und singen wie es dem herrn gefällt, dass nämlich auch wir die opfergaben nicht scheuen und ganz und gänzlich verzehren werden, wie es uns gefällt «vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang». was wir tun werden im süden fronkreischs wird in jedem falle dem herrn gefallen, denn er sagt, «köstlich ist es [...] zu singen, des Morgens [...] und [...] in den Nächten, zur zehnsaitigen Laute und Zither, zum rauschenden Spiel der Harfe.» und ich rufe überdies, ehrenhaft und glückselig: «Mein Herz ist bereit [...]; ich will singen und spielen.» so ist es und so wird es sein, mein bruder. und wie wir den duft des bratens bezahlen werden, wie wir überhaupt bezahlen werden was wir bekommen und uns nehmen, überlegen wir gerne und ausdauernd, wenn wir, was wir wollen, vor uns haben und uns das wasser im munde zusammenläuft, wenn wir den ochsen und das lamm am spiess haben, wenn wir das dutzend seezungen in der butter braten sehen, wenn die vielfalt der gemüse gart, die weine freundlich moussieren und wir glücklich singen. vielleicht wenden wir am schluss, da hast du durchaus recht, den trick von herrn rabelais an und werfen ein paar francs auf die schwelle, bevor wir gehen, allerdings, du weisst das, bezahlen so diejenigen, die vom duft des essens leben, diejenigen, die nicht, wie wir, den braten selbst begehren und verehren. wenn wir glücklich sind, essen wir südliche früchte und trinken klares quellwasser. wir spielen satyr und faun und naschen am lebendigen brot und fleisch. wir liegen im hohen gras auf moos im schatten und unser leben wird kein traum sein. der schweiss perlt uns von den bäuchen und ich weiss, dass uns die trauben ins maul hängen werden. also, mein steinweg und bruder, sei zuversichtlich, das leben wird herrlich und alles wird gut. alles wird selbstverständlich sein, nicht zank noch zwist, noch falsche eitelkeit wird sein. wir werden haben was wir brauchen ohne aufwand. «Mein Herz ist nicht hoffärtig, und meine Augen sind nicht stolz; ich gehe nicht mit Dingen um, die mir zu hoch und zu wunderbar sind.» alles wird hoch und wunderbar sein, ohne dass wir uns recken und sehnen müssen, alles wird vor unseren füssen liegen. das ist allerhand. > es ist beunruhigend: wir sind entdeckt. wir schreiben eine sprache, die nicht die unsere ist. und doch scheinen wir missverstanden: «Denn ihr gottloses Lügenmaul haben sie wider mich aufgetan, reden zu mir mit falscher Zunge.» wir reden nicht zu ihm, noch reden wir mit falscher zunge. wir reden miteinander, von froind zu froind, und wir haben unsere zunge selbst gewählt, denn wir verfügen über viele zungen und viele zungen sind uns eigen. engelszungen, katzenzungen, einschätzungen usf. > und paar fragen noch zum schluss: nehmen wir jetzt eigentlich ein dienstmägdlein mit? freuen wir uns jetzt eigentlich schon vor? wenn wir in der nacht fahren, wer liegt beim schlafen eigentlich auf wem und wer erzählt dem fahrer oder der fahrerin jene berüchtigten geschichten über eine gewisse frau merian, dass der lenker oder die lenkerin nicht einschläft am steuer? wer darf die autorennbahn zum auto tragen? wann machen wir in der nacht fahrpause, um die sandwitsches zu essen? viele fragen, alle werden irgendwann eine antwort finden. grüsse: wenzel.
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