19940607 betrifft letzte fragen

mein lieber steinweg

 

 

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> nun aber zu folgendem punkt, den ich diskussionslos erledigt glaubte, der mir nun aber in deinem gewitzten schlachtplan doch zuwenig platz findet und mit einem zuu kurzen nebensatz abgetan worden ist: wann halten wir an? wannen fahren wir? damit stellen sich eine ganze reihe von neuen fragen: wann lösen wir wasser, wann nehmen wir neues auf? wann essen wir die gigatönner? wann vertreten wir die beine? wann treten wir uns in den hintern, will sagen, wann tragen wir die während der fahrt aufgebrochenen konflikte konfliktfreudig aus? wann sitzen wir im kreis und halten uns die hände? und überhaupt: wann singen wir schweizerlieder (aus dem unterstufengesangbuch: «Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang» und «Vom Abfangen der Nonne bis zu ihrer Niederkunft»)? wann revidieren und reparieren wir den bus? wann fangen wir springböcke und hecken-braunellen zum frühstück? wann und womit verteidigen wir uns gegen die hells angels (on the road)? wann überholen wir die lahme ente vor uns und wann lassen wir sie überholen? wann machen wir unsere freiübungen zur stärkung der waden- und gesässmusskulatur? und: wann ölen wir unsere körper frisch ein (ganz zu schweigen von den etwelchen bedürfnissen der mitreisenden damen)? wann wann wann. du siehst, mein lieber, mein deinem satz, und den halt planen wir sporadisch, sind zuviele bedürfnisse unbedrücksichtigt geblieben: wir müssen die reise zeitlich straffer durchplanen, nicht, dass wir dann ankommen und unser frühstück rennt noch durch die wälder des massif central. wenn schon schlachtpläne, mein lieber, dann richtige: strikte planung vom inhalt des brotes bis zum inhalt der gespräche, von der kulinarischen über die soziale bis zur emotionalen planung. für eine solche reise, wie wir sie planen, und zweifellos auch durchführen, wollen wir doch nichts dem zufall überlassen, der alles, wir wissen es, im letzten moment noch zu fall bringen kann. gefordert ist also vorsorge und planung in allen bereichen: einer diarrhö soll ebenso aus dem wege gegangen werden, wie einer gesprächsthemenarmut (siehe faxe vom 9./10.2) unterwegs. wir wollen gewappnet sein bei der durchfahrt durch die meerengen der (inner)europäischen widerwärtigkeit, wir wollen gerüstet sein, wenn wir plötzlich unsere splendide isolation verlassen und uns durch feindliches feindesland bewegen, das jetzt in allem und jedem absprachen trifft und so zusammen gegen uns arbeitet, um uns zurückzuwerfen auf unsere eigene dürftige existenz, auf unsere gottlose verlassenheit im herzen europas. eigentlich, lieber freund, verlange ich die präzise planung, weil wir unsere ferienreise als einen wirrklichsten ausfall planen. helfetiere gegen gesamteuropäische frankherrn. c'est ça!

grüsse nichts desto trotz: wenzel.

 

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