Dramatis Personae

Das Vorspiel auf dem Proszenium (Entwurf)

Das Zwischenspiel (Entwurf für ein Stimmungsbild)

Der erste Akt

Der zweite Akt

Der dritte Akt

Die Pause nebst einer Klammer

Der vierte Akt

 

 

Die menschlichen Feinde - Ein improvisiertes Drama in fünf Akten
von Franz Wenzel

Der fünfte Akt

 

 

die szene ist pézenas, wir sehen vor uns den rathaussaal, der in aller eile zu einem gerichtssaal umfunktioniert worden ist, wir überblicken im vordergrund den marktplatz, wo man eine grosse projektionswand aufgestellt hat, wir sehen einen freundlicheren himmel, als den sturmüberzogenen am vortag und wir hören eine blaskapelle, die französische märsche spielt. im gerichtssaal und auf dem platz sammeln sich leute, spärlich zuerst, doch mit zunehmendem schmettern der kapelle immer mehr, bis schliesslich ein solches gedränge herrscht, dass man sich unmöglich mehr bewegen, geschweige denn aus dem staub machen kann. doch plötzlich wird die aufmerksamkeit der menge von einer liveübertragung aus dem saal gefesselt und es wird still auf dem platz. aus den lautsprechern tönt eine kurze begrüssung, wir sehen den gerichtspräsidenten und dann schwenkt die kamera auf die angeklagten. als die menge die sechs sieht, gerät sie aus dem häuschen. auch im gerichtssaal überschlagen sich die ereignisse. alle rufen durcheinander. man hört fragen und antworten, nichts passt aufeinander, ein gerichtsdiener schreit, der präsident und vorsitzende schreien ebenfalls, die angeklagten schreien. es herrscht ein undurchdringlicher tumult, der sich jetzt auf den platz hinaus fortpflanzt und schliesslich in einem destaster enden muss. «mädchen, was sinnest du wieder?» hört man eine frage. «... sonst jage ich dich ...», eine drohung. «ich liebe ihn», ein geständnis. «was denkst du von den menschen?» wieder eine frage ohne antwort. «ja, das weiss ich», eine antwort ohne frage. «hörst du, mädchen?» wieder eine drohung, diesmal als frage getarnt. «was dir so recht gelegen kömmt, nennst du klug», ein einwand, vielleicht eine verteidigung? «hast du gleich sturm laufen sollen?» ein zweideutiger vorwurf. «wie heisst ihr aber nun in guckucks namen?» wahrscheinlich der gerichtsschreiber, der den überblick vollends verloren hat. und endliche eine antwort, eigentlich eine frechheit: «in guckucks namen habe ich keinen namen!» einer schreit jetzt: «das geht in die brüche!» dann: «brav, was wisst ihr von denen?» irgend jemand wird da offensichtlich zur konspiration angehalten. und dann, man ist geneigt zu sagen, endlich, fliegt der erste stuhl. die schlacht ist schnell im gange und ebenso schnell vorbei. «so bleibe doch», ruft einer. es ist bestimmt der richter, der wächter oder der gerichtsdiener, der einen der gefangenen entfliehen sieht.
erst als die gefangenen jetzt im park des schlosses als freie menschen aus den gebüschen kriechen, erkennen wir sie vollends, sehen wir den verdacht bestätigt: es war unsere kleine gesellschaft, welche in der nahen stadt gefangen lag und von einem improvisierten gerichte abgeurteilt werden sollte. «welches ist ihr vergehen, welches ihre schuld?» nachdem man sich frisch gemacht hat, treffen sich alle im windschatten auf der terrasse des schlosses und man erzählt und werweisst, man spekuliert und vergleicht. niemand weiss, was eigentlich vorgegangen ist. nur die feststellung von ganymed, dass er unter den zuschauern des prozesses den leibhaftigen gesehen habe und die ergänzung des knaben, dass auch der alte fischhändler dabeigewesen sei, erhellt die diskussion ein wenig, doch der wahre grund der anklage liegt im dunkeln. nachdem man ein wenig über die bürger von pézenas geschimpft hat, sagt plötzlich der knabe: «die leute sind freundlich und gut.» ist das kind etwa bereit allen zu vergeben? das wendet allerdings die ganze diskussion. phanias ergänzt: «aber auch die mäuse sind sehr human.» doch der knabe: «ihr seid schon recht ...» haben wir recht gehört? «was schwätzest du? ich begreife dich nicht!» sagt hebe zu ihrem sohn. doch dieser schweigt und sein schweigen bedeutet, dass er etwas fühlt und weiss, was die andern nur erahnen können. eine ganze weile bleibt es still. «ich hindre euch doch nicht an der seligkeit?» fragt er und ein seltsamer glanz umspielt seine augen. er beginnt mit überirdischer stimme leise erst, dann immer lauter zu murmeln, zu flüstern, zu flehen. wir verstehen nur einzelne fragmente seiner rede: «... blauen liebeshimmel ... im traum mir eine welt ... das glühefeuer nur ... göttin aller liebe ewig zeugend.» dann mischen sich plötzlich die stimmen des knaben und diejenige seiner schwester, der halb-prinzlichen infantin. sie scheint gemerkt zu haben, worum es geht und zusammen tönen die kindlichen stimmen wie der süsseste gesangt, den menschen je gehört: «... sehr glücklich ... steig aus mir hervor, du liebesgöttin ... die liebe flüstert nur ...» und immer weiter. lange braucht es, bis die erwachsenen verstehen, was vor sich geht: es ist tyche, die aus den kindern spricht. und plötzlich fügt sich eines zum andern und es wird ihnen alles offenbar. mit der erkenntnis zieht auch schon der abend auf und zum ersten mal an diesem tag lugt die sonne hinter den wolken hervor. von den ereignissen noch schmerzlich benommen, aber doch schon wieder besserer dinge, sagt plutos: «ich glaube, mit der hülfe eines kochs könnte eine gute mahlzeit den schmerz beheben.» der vorhang fällt.

[a memorable note on the fifth act: zuerst hatte man noch gesagt, dass dieser anfang des fünften aktes in seltsamer art und weise aus der gesamtkonzeption des stückes herausfalle, doch muss man nun, am ende dieses jahrtausends sagen, dass die gerichtsszene geradezu visionäre züge zeigt. dabei liegt die eigentliche schwierigkeit des fünften aktes nicht in seinem anfang, sondern in der transzendenten auflösung eines übersinnlichen glücksbegriffs in der tatsache, dass der unglückliche die glückseligkeit des glücklichen als verbrechen zu sehen imstande ist. denn dieser vorgang hat die kleine gesellschaft schliesslich vor das gericht gebracht. in dieser schlussendlichen folgerung liegt denn auch nicht weniger als der eigentliche sinn des stückes: alles, religion (der teufel), staat (das gericht) und natur (der sturm), haben sich gegen die menschen auf der glückseligen insel verschworen und sich zum ziel gesetzt dieses glück zu beenden, weil es für sie als unglückliche unerträglich mitanzusehen ist. mit wieviel aufwand diese zerstörerischen kräfte in szene gesetzt sind, hat sicher zum erfolg des stückes beigetragen. in diese haupterzählung hinein, webt sich durch das ganze stück die entwicklungsgeschichte der geschwister, der kinder der hebe, des jungen fischers und der halb-prinzlichen infantin. wie glaubhaft diese nebenerzählung allerdings zum tragen kommt, ist weitgehend eine frage der inszenierung, die auf die herausarbeitung der betreffenden motive entsprechend viel wert zu legen imstande ist. eine letzte bemerkung soll nun dem titel des dramas gelten. lange hat die literaturgeschichtsschreibung über den sinn dieses titels gerätselt, bis vor einigen jahren der wissenschaftler hankathus einen adäquaten und überaus überraschenden vorschlag gemacht hat. man ist bis heute davon ausgegangen, dass mit den feindlichen menschen jene feinde des glücks gemeint seien, die mit allen mittel versuchen, gegen die glücklichen vorzugehen: neben dem personifizierten bösen, dem teufel, also auch die gerichtsbarkeit des staates und schliesslich die destruktive kraft der natur. die wissenschaft hat sich immer gewundert, dass die nur am rande vorkommenden, zwar weitgehend handlungsbestimmenden, aber niemals selber handelnden, dem stück den titel gegegen hatten. hankathus hat nun in den tengoréer archiven bei der durchsicht von alten akten die urschrift des dramas entdeckt, auf dessen vorsatz mit bleistift, in der mutmasslichen schrift des autors, missverständlich zu lesen ist: die freindlichen menschen. es stehen zwei möglichkeiten offen: primo: der autor wollte feindlichen schreiben und hat ein r zuviel geschrieben, oder aber secundo: er wollte freundlichen schreiben und hat statt dem u fälschlicherweise ein i geschrieben. im einen fall bleibt die interpretation wie gehabt, im andern fall würde der titel tatsächlich die hauptpersonen als die freundlichen menschen beschreiben. diese neue theorie hat allerseits viel echo gefunden, doch wird die wahre schreibweise weiterhin im dunklen bleiben.]

 

 

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