Literaturmontagen - Franz Wenzel als epigonaler Zeitgenosse
von Karl P. Dürr

 

 

«[...] also, ich muss sagen, dass ich es einfach nicht lassen kann, die rolle des briefeschreibers (des autors solch hochnotüberflüssiger correspondancen), und mitunter die des verfassers von faxen, ein bisschen technischer zu fassen und ihn auftreten zu lassen als monteur, als einen zusammenschneider [...], einen wirrklichen eklektiker im geist (elektriker als gast), wobei ich ihn, und da liegt der unterschied zum zeilen- und ideenklauer, als eigentlich moderne autorenfigur auffasse, die jenen gerade in der neuzeit fatalen drang nach originalität überwunden hat und sich die erkenntnis dass a) unter der sonne nichts neues zu holen ist und b) neues sich nur noch zusammensetzen lässt, dergestalt zu nutze macht, dass sie wirrklichst und ehrlichst aus dem alten schutt wieder neue gebäude zu bauen im stande ist. was jetzt zu schreiben bleibt ist eigentlich nur noch Ein Porträt des Autors als Mechaniker.»
Franz Wenzel, in: Die Notizkartei (Entwurf für einen Brief an David Steinweg)

 

Vieles was zum Werk Franz Wenzels allgemein gesagt worden ist, kann an seinem Prosawerk und an den paar verstreuten Gedichten direkt abgelesen werden. Vor allem sein ungenierter Umgang mit fremden Material macht ihn zu einem durchaus modernen Autoren, auch wenn wir ihn, der lediglich als Schöpfer von Entwürfen und Fragmenten hervorgetreten ist, aufgrund des hinterlassenen Materials nur ungenügend beurteilen können. Trotzdem soll an dieser Stelle versucht werden, anhand der zwei drei Prosatexte und Gedichte, aufzuzeigen, wie sehr Wenzel inhaltlich der Tradition verhaftet war, wie sehr er sich aber technisch von ihr entfernt hat.

Das erste, was dem Leser bei einer eingehenden Lektüre Wenzels ins Auge springt, sind die Querbezüge, die explizit in seine Texten eingearbeitet sind. Wir finden hier vom wörtlichen Zitat (das freilich nicht deklariert wird) bis zur inhaltlichen Anlehnung alle Zwischenstufen einer literarisch collagierten Bearbeitung. Wenzel setzt das Zitat allerdings nicht nur ein, um der Literaturgeschichte Referenz zu erweisen, er überhöht diese (seine) Vergangenheit vielmehr, indem er sie hervorzieht, um sogenannt moderne Texte zu fabrizieren. Die Autoren, die Wenzel bevorzugt verwendet, treten unter falschen Namen zudem vielfach auch selber in den Texten auf. So hat vor allem Bärtrup (Zürich 1993) darauf hingewiesen, dass «vielerlei Autoren als Engel oder Teufel in den verrücktesten Verwandlungen und Namen» die Prosa Wenzels bevölkern. Er hat unter anderen Wieland, Kleist, Poe, Carroll, selbstverständlich Joyce und auch Cortazar identifiziert und deren Verarbeitung als Quellen beschrieben.
Interessanter als diese Rätselsuche scheint nun allerdings eine exakte Beschreibung der Technik, die Wenzel sich erarbeitet und in seinen Texten verwendet hat. Es gilt dabei verschiedene Grundtechniken zu unterscheiden. (Die für diese Edition ausgewählten Texte (Kuhn, Tengor 2000) versuchen eben diese verschiedenen Gesichtspunkte Wenzelscher Verarbeitungstechnik zu demonstrieren.)

Zum Beispiel hat Wenzel, wie wir in seinem Text «Die Bibliothek von Tengor» sehr schön sehen, eine Art assoziatives Sampling betrieben. Inspiriert von Romanen (und vor allem auch Filmen) hat er verschiedene Erzählungen und Fragmente geschrieben. Er hat sich dabei vor allem Motive und Metaphern ausgeliehen und weiterverarbeitet. Er betreibt, ähnlich wie dies Coronato (Graz 1998) für ihre eigene Textproduktion eingehend beschrieben hat, ein eigentliches Textrecycling. Diese Technik hat freilich nichts mit einer maschinellen Kontrolle literarischer Sprache zu tun. Vielmehr geht es darum, eine präzise literarische (im Gegensatz zu einer eben rein maschinellen) Technik umzusetzen. Trotzdem spielt eine gekonnt eingesetzt Maschinerie ein wichtige Rolle. «Die maschinelle, computergestützte Textkontrolle ist jedoch unerlässlich. Sie dient in erster Linie der Qualitätssicherung.» schreibt Coronato.
Die literarische Technik verfolgt nun ein Textrecycling, das die der Sprache eigene Unschärfe und Diffusität, man möchte sagen schamlos, ausnützt und in variablen Textzuständen ausdrückt. Der Schreibende geht dabei von Erinnerungen und Assoziationen gelesener und gehörter, mit Vorliebe literarischer, Sprache aus und kompiliert diese schreibend zu neuen Texten. Dass dabei auch eigene Texte immer weiter recycelt werden, scheint nur folgerichtig. Der Text «Die Bibliothek von Tengor» zeigt auf exemplarische Weise die beschriebene Art assoziativen Samplings. Woran Wenzel sich dabei vor allem orientiert hat, muss in diesem Fall nicht noch zusätzlich hervorgehoben werden.

Auf eine andere Weise geht Wenzel mit dieser Montagetechnik im Text «Korrigenda für Steinweg» um. Wie Bärtrup richtig bemerkte, fehlen für diesen Text jegliche Quellen. Und doch liegt es für den aufmerksamen Leser schnell auf der Hand, dass der Text aus (kleinsten) Einzelteilen konstruiert worden sein muss. Wie Pless (München 2000) in seinem Aufsatz über Wenzels umfangreiche Notiz- und Fragmentkonvolute zeigt, muss «Korrigenda» aus eigenen Texten montiert worden sein. Eine genaue Recherche der vorhanden Quellen belegt dies auch deutlich. Vor allem in den Träumekarteien tauchen einige der Versatzstücke in anderem Zusammenhang, zum Teil in seitenlange Traumprotokolle eingebunden, wieder auf. Man muss also davon ausgehen, dass Wenzel seine Verschnitttechnik auf alles, eben sogar auf das eigene, zur Verfügung stehende Material angewendet hat. Im Unterschied aber zu einem assoziativen Fortschreiten, wie wir es oben beschrieben haben, sind hier die Satzfragmente, die den vielfältigsten Quellen entnommen worden sind, wortwörtlich zu einem neuen Text montiert. Dass Wenzel diese Technik nicht nur mit Fremdmaterial erprobt hat, sondern auch eigene Texte, zum Teil mehrere male und immer wieder, verwendet und im eigentlichen Sinne zerschnitten hat, beweist eindrücklich, wie intensiv Wenzel an einer Auflösung seiner Rolle als Autor, an der Auflösung autoritären Gehabes, gearbeitet hat (siehe auch das einleitende Zitat oben). Er schreibt in einem Brief an David Steinweg dazu: «[...] weil ich mir auch durchaus immer bewusst bin, dass der autor als (origineller) urheber, dass der gebieterische schöpfer erhabener literatur ausgedient hat und sich jetzt auf seine rolle als neuzeitlicher sampler und monteur besinnen muss. allerdings muss er dabei zwangsläufig sein rollenverständnis nicht nur revidieren, sondern über bord werfen, sonst wird er immer wieder verzweifelt versuchen ein aufrechter und ehrlicher literat zu sein, was ihm, meine meinung, niemals mehr gelingen wird. denn alles ist nichtig. [...]»

Solche Texte, assoziativ entlang der literarischen Tradition geschrieben, mechanisch neu montiert, verlangen auch einen durchaus zeitgenössischen Leser, der mit der Fernbedienung in der Hand sich durch Texte zu zappen gewohnt ist und sich die Texte, die in offensichtlich unzusammenhängenden Einzelteilen, oder aber minutiös und lückenlos verarbeitet, im Kopf selbst zusammenzusetzen imstande ist. Und genau hier geschieht eigentlich das Entscheidende: Wenzel verabschiedet seinen eigenen Text zugunsten eines vielseitig einsetzbaren, vieldeutig lesbaren Textes, der zwar seinem Hirn entsprungen ist, jetzt aber, indem er gelesen wird, in einem neuen Verständnis der Leserin und dem Leser nicht nur gehört, sondern wirklich zu ihrem eigenen Text geworden ist.

Epigonal ist Wenzels Literatur zwar im Ansatz, in ihrer technischen Durchführung ist sie aber durchaus modern. Damit haben wir nichts über die inhaltlichen Aspekte von Wenzels Werk gesagt, dafür reicht hier auch der Platz nicht aus und wir müssen dieses Unterfangen auf eine spätere Gelegenheit verschieben.
Wir sind versucht abschliessend mit Ingold (Graz 1995) auszurufen: «Nicht das Geschriebene steht für die Originalität des Autors, sondern das Schreiben selbst, will sagen die kompilative, die kombinatorische Verknüpfung vorgefundener, zumeist fragmentarischer Fremdtexte.»

Tengor, im Januar 2000

 

Editorische Notiz:
Die in der Einführung erwähnten Texte Wenzels wurden eigens für diese Edition bearbeitet und werden hier zum ersten mal veröffentlicht. Die Auswahl wird erweitert.

Die Bibliothek von Tengor

Korrigenda für Steinweg