Mathias Gali. Eine biografische Skizze
von Matthias Kuhn

 

 

Wie überhaupt die Biografien vieler Personen, die mit Franz Wenzel zu tun hatten, schleierhaft geblieben sind, so wissen wir auch über den Journalisten Mathias Gali zu wenig, um umfassend Auskunft geben zu können. Es gibt rund um das Zusammentreffen mit Franz Wenzel allerdings einige Besonderheiten, die als Einflüsse auf Wenzels eigene Biografie gesehen und bekanntgemacht werden müssen.

Wie den zurückgelassenen Akten Franz Wenzels zu entnehmen ist, hatte er mit dem Journalisten Mathias Gali nicht erst, wie anfänglich vermutet, in Barcelona Kontakt. Es liegt uns ein Brief vor, den Wenzel noch in Tengor an Gali gerichtet hat, um diesem seine Meinung über einen heute leider nicht mehr identifizierbaren Zeitungsartikel, erschienen wahrscheinlich im Starberger Anzeiger oder in den Tengoreer Nachrichten, kundzutun. Es ist anzunehmen, dass Wenzel den Brief nicht an einen Unbekannten richtete, sondern dass er Gali vorher schon begegnet ist. Fast macht es den Eindruck, dass Gali ihn um eine Stellungnahme gebeten hat. Wenzel schrieb: «[...] dein artikel so weit so lied. lokalschnurrnalistisches hahndwerk. ich habe mir vorgestellt, dass erwehre: ein guts stück arbreit, das dem stoff hauch wirrklichst gerecht wird. aber so? (so la la.)» Gali hat auf diesen Brief sehr unverständig und wirsch reagiert. Es ist anzunehmen, dass die beiden nachher nichts mehr miteinander zu tun hatten.

Vor diesem Hintergrund erscheint nun auch das Treffen Wenzels und Galis in Barcelona vor einem neuen Hintergrund. Nur soviel ist sicher: In Barcelona trafen sich Wenzel und Gali auf der Eröffnung der Paniberischen Zentrale für literarischen Eklektizismus (CEL). Dass Wenzel bei diesem Anlass anwesend war, muss ein Zufall gewesen sein. Wahrscheinlich hat er, von Frankreich kommend, erst in Barcelona von der Eröffnung erfahren und mehr aus Neugier teilgenommen. Wahrscheinlich hat er auch nicht damit gerechnet, dort Gali und Sandel anzutreffen. Von Mathias Gali wissen wir, dass er, der im Jahr vorher nach Spanien übersiedelt war, eigens für diese Eröffnung nach Barcelona gekommen war. Was nun das Treffen von Wenzel und Gali angeht, berichtet Iokter Sandel, dass Wenzel und Gali praktisch die ganze Zeit, bis Wenzel wieder abgereist sei, zusammen verbracht hätten. Auf einigen Ausflügen und bei verschiedenen Veranstaltungsbesuchen sei er selbst dabeigewesen. Die beiden hätten sich ausgezeichnet verstanden, und wenn von früher her Unstimmigkeiten gewesen seien, dann hätten sie diese mit Sicherheit beigelegt gehabt.

Gali war, wie gesagt, bereits ein Jahr vor Wenzel in Spanien eingetroffen. Recherchen haben ergeben, dass er mit grösster Wahrscheinlichkeit in Madrid gelebt hat. Seine Auswanderung muss aufgrund grosser beruflicher und persönlicher Unzufriedenheit erfolgt sein. Dies entnehmen wir einem Tagebucheintrag Wenzels, der seine und Galis Gründe einer Flucht aus der Heimat vergleicht und beurteilt.
Gali hatte sich allerdings in Spanien ziemlich schnell wieder gefangen und in Madrid begonnen, an seinem bereits begonnenen Roman weiterzuarbeiten. Dass dieser Roman den Arbeitstitel «Porträt des Autors als Mechaniker» trug, hat nun freilich zu den gewagtesten Spekulationen Anlass gegeben.
Ich selber habe in meinem biografischen Abriss über Franz Wenzels Leben (in Spanien) noch nichts von dieser seltsamen Übereinstimmung gewusst. Dass Wenzel später, bei der Entwicklung seiner literarischen Sampling-Theorie, einen Roman gleichen Titels in Aussicht gestellt hat, verändert die Beurteilung der Beziehung zwischen Gali und Wenzel.
Man ist versucht zu sagen, dass Wenzel Gali dessen Romanidee gestohlen habe, und so billig zu einem Romankonzept gekommen sei. Andrerseits konnte das Manuskript Galis weder in seinem eigenen Nachlass, noch bei den Papieren Wenzels aufgefunden werden. So bleibt unklar, ob es sich bei dem Roman Galis nur um eine Idee gehandelt hat, oder ob er tatsächlich mit dem Schreiben des Textes bereits beschäftigt war. Ebenso unklar bleibt auch, ob Wenzel den Roman erfunden und Gali zugeschrieben hat, nur, um ihn dann (vermeintlich) zu plündern und so die Urheberschaft seiner eigenen, im übrigen ja durchaus eklektischen, Schriften weiter zu verschleiern. Zu den Theorien Wenzels passt es ausgezeichnet, sich selbst bei Freunden zu bedienen und sich an deren Ansätzen und Ideen schadlos zu halten. Es liegt auf der Hand, dass sich zu der Übernahme dieses Romantitels (und eventuellen Inhalten) bei Wenzels Notizen keine Hinweise finden lassen.

Vor allem stellt diese Entdeckung aber die persönliche Beziehung zwischen Gali und Wenzel in einen völlig neuen Zusammenhang. Wie wir wissen verschwand Wenzel im Frühsommer überstürzt aus Barcelona und kann für Gali erst wieder aktuell geworden sein, als dieser aus der Zeitung von Wenzels Vermählung mit Doña Anna de Leon Kenntnis erhielt.
Es ist durchaus verlockend, Wenzels Abreise aus Barcelona mit dem Diebstahl von Galis Roman zu motivieren. Verlockend vor allem auch deshalb, weil dieser Diebstahl jede weitere Reaktion Galis aufs Logischste rechtfertigen würde.

Kurz nachdem Gali in der Zeitung von Wenzels Heirat gelesen hatte, reiste er nach Toboso ab. Don Gabriel gab ihm an der Haustüre, Gali nahm sich nicht einmal die Zeit einzutreten, die Auskunft, dass seine Tochter und sein Schwiegersohn eben zur Hochzeitsreise aufgebrochen seien. Er gab Gali deren Reiseroute und die Adresse ihres Aufenthalts an der balearischen Küste an und entliess ihn, ohne zu ahnen, wozu seine Auskünfte letztlich führen würden.
Gali reiste sofort weiter und traf, wie wir wissen, Wenzel tatsächlich am Ort seiner Flitterwochen, auf dem Gut Cannyamel. Er muss dort verschiedentlich versucht haben, mit Wenzel zu sprechen. Dieser wies in aber ab, bis Gali ihm auf einem Spaziergang auflauerte und so ein paar Worte mit ihm wechseln konnte. Anschliessend, Augenzeugen, deren Aussagen in den Protokollen zur polizeilichen Untersuchung festgehalten sind, berichten davon, haben sich die Männer wiederholt auf den Klippen getroffen und miteinander gesprochen. Worum es in den Gesprächen allerdings ging, konnte nicht eruiert werden, zumal nicht einmal Doña Anna etwas näheres wusste. Aufgrund der neuen Erkenntnisse könnte es bei diesen Treffen aber sehr wohl um das Romanmanuskript Mathias Galis gegangen sein, das dieser mit Vehemenz (auch davon berichten Augenzeugen) zurückverlangt haben muss.

Es ist allerdings aufgrund der Faktenlage weiterhin reine Spekulation, ob Wenzel das Manuskript überhaupt gestohlen hat und Gali folglich nach Cannyamel gekommen war, um sein Eigentum zurückzufordern oder ob Gali sich von seiner Beziehung zu Wenzel mehr versprochen, die Heirat mit Doña Anna nun seine Träume zerstört hatte und er nun angereist war, um Wenzel zur Rede zu stellen. Auch Galis späterer Tod ist nach diesen Erkenntnissen sowohl als Selbstmord als auch als Mord Wenzels denkbar.

Den kurzen Schluss von Mathias Galis Leben kennen wir. Die Augenzeugenberichte und die polizeilichen Untersuchungen sind die einzigen Quellen, die uns darüber Auskunft geben. Eine Woche nach der Abreise des frischvermählten Ehepaars kam Mathias Gali an der Küste unweit des Gutes Cannyamel zu Tode. Ob selbstverschuldet oder gewaltsam wissen wir nicht. Nach Wenzels Tod, wird der wahre Sachverhalt wohl immer im Dunkeln bleiben.

 

 

[zurück zum Text: Franz Wenzel: Die Biografie: Einführung]

[zurück zum Text: Franz Wenzel: Die Biografie: Die Jahre in Tengor (1986-1995)]

[zurück zum Text: Franz Wenzel: Die Biografie: Die Jahre in Spanien (1996-1999)]

 

 

[zurück zur Übersicht: Franz Wenzel (1960-1999)]

 

 

 

 

[zurück zum wortwerk]    Copyright 2000 bei wortwerk