petra elena köhle und nicolas vermot petit-outhenin
anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo, oder
über die unmöglichkeit keine geschichten zu erzählen

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am 8. märz 2006 reisten petra elena köhle und nicolas vermot petit-outhenin (*1977, leben und arbeiten in zürich) für ihr projekt «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» («auch wenn ich dich nicht sehen kann – du bist in meinem blickfeld») auf getrennten wegen nach palermo. 21 tage wollten sie in der stadt leben und eine untersuchung über die wahrscheinlichkeit einer zufälligen begegnung führen. ausgerüstet mit fotoapparat, diktafon, notizblock und gps-gerät, das die wege durch die stadt schritt für schritt aufzeichnete, verbrachten sie ihre tage flanierend in den strassen und gassen, am hafen und in den parks der stadt in der steten erwartung, den andern zufällig zu treffen, ihn in einem café sitzen, oder hinter der nächsten ecke auftauchen zu sehen. unter dem titel «über das eigenleben einer versuchsanordnung, oder von der unmöglichkeit keine geschichten zu erzählen» zeigen köhle und vermot in einer für die ausstellung entwickelten architektur eine dichte installation von texten und fotografien aus dem palermo-projekt.

wenn petra köhle und nicolas vermot im kunsthaus glarus (in einer ausstelllung die noch bis anfang mai zu sehen ist) als ersten teil der installation sich auf eine darstellung der fakten konzentriert haben, geht es im zweiten teil nun vor allem um die fiktionen, das heisst um jene geschichten, die sich in palermo in den drei wochen im letzten frühling zugetragen haben. die installation erzählt ausschweifend über politik, mafiöse verstrickungen, den alltag in der stadt, über begegnungen mit fremden, verpasste treffen und nicht zuletzt auch von einsamkeit, das heisst von der abwesenheit des andern.

für die präsentation der umfangreichen materialien haben köhle/vermot ein system von räumen – eigentlich zwei hotelzimmer – und gängen gebaut, welche sich fast kryptisch in den projektraum einpassen. die neuen räume unterstützen den versuch die materialien in eine art subjektive ordung zu bringen. ausgehend von den zwei verschiedenen positionen entwickeln köhle und vermot die geschichte ihres aufenthaltes parallel, gewissermassen aus den zimmern heraus, und zeigen in einer flächigen hängung von texten und fotografien die parallelen in den beiden tagesabläufen, zeigen, wo die geschichten auseinander- oder zusammenlaufen. die tagebücher beider künstler sind, je in einem raum, als audiodokumente zu hören. die aufzeichnungen aus 21 tagen palermo enthalten notizen zur eigenen befindlichkeit, beschreibungen der stadt und der unternehmungen, erzählungen von fremden, verschiedene gespräche mit zufallsbekanntschaften und immer wieder träume. die fotografien richten den fokus gezielt auf einzelne augenblicke, und zwischen den fotografien ergänzen auszüge aus den tagebüchern das bildmaterial und differenzieren die erzählung.

so setzt sich «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» aus den einzelteilen in unseren köpfen erst allmählich zusammen. alles was uns die künstler zeigen sind splitter, einzelheiten, augenblicke, die wir selber zusammenbringen können. auf diese weise entsteht die palermo-erzählung stück für stück und lässt uns nicht zuletzt auch genug raum für unsere eigenen erlebnisse und erfahrungen in und mit der fremde.

natürlich wirft bereits die projektanlage die frage nach dem gelingen des experiments auf, die frage wird in der installation natürlich auch beantwortet, doch erzählt «anche se non posso focalizzarti – sei nel mio sguardo» – immer vor dem hintergrund des konzeptes selbstverständlich – eine vielzahl anderer geschichten, die bei näherem betrachten den herbeigesehnten höhepunkt fast vergessen machen. die geschichte von der frau, die auf dem markt verloren ging zum beispiel, die geschichten der demonstrationen und gegendemonstrationen, die geschichte vom spiel palermo gegen trieste, das 1:0 endete, die geschichte von petras verschobenem geburtstag und nicolas begegnung in der chiesa s. giovanni degli eremiti, die geschichten von giovanni della polizia und so weiter und so weiter. viele dieser geschichten sind kurz und bündig erzählt, eine notiz im tagebuch, ein bild, in eile gemacht, alle geschichten sind als teile eines letztlich unergründlichen ganzen zwingend und unverzichtbar ... alle geschichten sind dabei auch immer die notiz für einen längeren text, vielleicht eine novelle ... und wer einmal angefangen hat die teile zusammenzufügen, möchte den ganzen roman lesen, ein roman vielleicht mit einem wunderbaren titel wie: «auch wenn ich dich nicht sehen kann – du bist in meinem blickfeld».

 

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petra elena köhle und nicolas vermot petit-outhenin, anche se non posso focalizzarti –
sei nel mio sguardo, oder über die unmöglichkeit keine geschichten zu erzählen,
installation (fotografien, audio, video, diverse materialien)