cees nooteboom
ein abend in isfahan

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truman capote fliegt nie freitags, und ich selbst habe auch oft angst. und: diese angst verringert sich keineswegs mit zunehmenden alter. man liest ein gedicht - vor zwanzig, fünfundzwanzig jahren -. und seit diesem tag steht isfahan für das unabwendbare schicksal, den ort, an dem der tod einen holt. seit jahren will ich schon dorthin und habe immer geglaubt, dass ich dann nicht mehr zurückkäme. und nicht nur auf mich hat isfahan diese wirkung. als ich am morgen meiner abreise auf dem flughafen schiphol umherspaziere, treffe ich den schachspieler donner. er fliegt nach münchen zu einem länderkampf. ich erzähle, dass ich nach isfahan fliege. er macht ein bedenkliches gesicht: «ich würde mich hüten!» Aber da ist es zu schon zu spät. ich habe mein Schicksal bereits gekauft, und wenige stunden später fliege ich in einem bis auf den letzten platz mit geschäftsleuten besetzten deutschen flugzeug über den balkan. ich bin auf dem weg zu einem gedicht, sie nach boom country. ein guter vorgeschmack. teheran ist zu einer goldgräberstadt geworden, nur haben die goldsucher einen diplomenkoffer anstatt einer schaufel, aber das ist auch schon alles. die hotels sind restlos voll, in allen zeitungen stehen fotos von deutschen, japanischen, italienischen delegationen, die um den schah herumscharwenzeln wie höflinge um den sonnenkönig, und sie sind höflinge, und er ist der sonnenkönig. eine stewardess bietet die kayhan an, eine englischsprachige persische zeitung. his imperial majesty the shahanshah urges a steelmill for khorassan, iran and india reach full understanding, und suryanaran veena players plays carnathic music in the city theatre at 8 p.m., und, neuer beweis für meine merkwürdige beschränktheit, wenn es um simple fakten geht: plötzlich wird mir bewusst, dass ich zum erstenmal nach osten fliege, und weil mir das bewusst wird, passieren drei dinge zur gleichen zeit, eines tatsächlich (es wird rasch dunkel), und zwei auf der sentimentalen ebene: mich überkommt das physische gefühl, über etwas sehr altes zu fliegen und über etwas, das unendlich leer und ausgedehnt ist. beides ist wahr, doch das physische gefühl ist seltsam, denn während ich hier an den pfauenthron denke, an xenophon, herodot und zarathustra, schleppt das beförderungsmittel, in dem ich sitze, mich irgendwohin, was genausogut der westen oder der norden sein könnte. wie dem auch sei, es dauert fünf stunden, und es ist mitternacht, als ich an einigen militärflugzeugungetümen entlang über das nach benzin riechende rollfeld gehe, dem chaos entgegen.

zum erstenmal irgendwo anzukommen ist immer wie ein psychologischer test. frage eins: alle hotels sind voll, was machen sie jetzt? nichts warten und nörgeln. frage zwei: schreiende männer bringen ihr gepäck bis zur tür, wollen dann geld. auf den scheinen stehen nur arabische zeichen. wieviel ist wieviel? dann kommen andere, dieselben männer, laden das gepäck in ein auto, führen einen dann aber zu einer schlange. geschubse und gemecker in der orientalischen nachtluft, lange schlange, lange warterei, doch mit dem ticket, das man dann bekommt, hat man das taxi bereits bezahlt. also keine gaunerei. gutes system, man muss es nur kennen. die strassen sind leer, breit. ich sehe umrisse hoher gebäude. das hotel wurde für einen spionagefilm im jahr 1942 gebaut. humphrey bogart steht hinter dem empfangstresen, aber ich behalte die mikrofilme noch in meinem toupet. über allem liegt ein zerrissener zelluloidglanz von alten marmorplatten an den säulen, ficussen, in morbide gedanken versunken, und, was glaubst du: persischen teppichen!

die wände meines zimmers sind so gelb wie alt gewordenens zeitungspapier. I spy schlägt das bett auf und sieht ein langes welliges haar, auf dem badezimmerboden steht wasser, und als ich den einzige stuhl verrücke, machen die kunststoffjalousien das geräusch einer pestrassel. ich bin zu hause. ich setze mich auf diesen einen stuhl, auf dem ein ganzes volk gesessen hat, und breite den stadtplan von teheran aus. sobald ich irgendwo ankomme, packt mich eine wahre gefrässigkeit - ich muss wissen, wie alles zusammenhängt, ich muss das system der stadt kennenlernen, ich muss losziehen, riechen, schauen, in bussen und strassenbahnen sitzen, die stadt erobern.

 

pieter nicolaas van eyck (1887-1954): der gaertner und der tod