13.10.2002. Ungefähre Romanshorn - Friedrichshafen - Romanshorn.

Das St.Galler Tagblatt hatte die Veranstaltung angekündigt: Der See lockt auch im Herbst! Nach dem «Übersee-Symposium» vor zwei Jahren melden sich Reto Friedmann und Udo Israel zurück, verstärkt durch Pia Thür und Annette Schmucki, mit einer Art Kauderwelsch-Fortsetzungsprojekt. Während ganz genau 41 Minuten Fahrzeit senden sie unter dem Namen «Blablabor» am 13. Oktober auf der Bodensee-Fähre zwischen Romanshorn und Friedrichshafen «Ungefähre» als Hörspiel-Uraufführung. Das fahrende Sendegebiet migriert mit der Fähre. Geliehene oder mitgebrachte Transistorradios verbreiten eine akustische Odyssee zwischen der Suche nach Heimat und dem Bedürfnis nach Veränderung. Es entsteht je nach Ohr und Zunge verschieden lesbare Poesie. «Blablabor untersucht das ästhetische und kommunikative Potenzial des gleichzeitigen Nebeneinanders verschiedener Sprachen und Akzente», schreiben die Autoren.

Dazu weiter noch das: Das Stück basiert auf der Sprache Kauderwelsch, das heisst auf diversen Übersetzungen und Rückübersetzungen aus und ins Kauderwelsch, jener Sprache die man in Kauder - heute: Chur - gesprochen hatte: Rätoromanisch. Dazu kommen weitere Sprachen. Ein eigentliches baylonischen Sprachengewirr ergibt sich hier auf hoher See. Alles mit dem doppelten und mehrfachen Sinn: Übersetzungen während der Übersetzung.
Einzelne Tonspuren werden geloopt und gegeneinander verschoben. Daraus entsteht ein Gewirr, das vollkommen unverständlich scheint, wenn man es zu verstehen versucht. Bei aller Theorie: Die Verständnisschwierigkeiten sind schnell einmal vergessen. Der See und der blaue Himmel kommen einem zu Hilfe: Die Hörerinnen und Hörer auf dem Oberdeck des Schiffes lehnen sich alle schnell entspannt zurück und drehen die Radioempfänger lauter. Die Sprachversuche verfallen zeitweise sich durchsetzenden Rhythmen, entschweben wieder und werden vollends zur Musik. Ein Soundtrack zur Überfahrt.

Und dann beginnen auch die Hörerinnen und Hörer zu lallen. Sch kabutt. Und irgendetwas wie: go go. Vielleicht goga go go. Und asiatische und russische Sprachfetzen. Vielleicht sind wir wirklich unterwegs nach Fernost. Nur nicht die Augen öffnen.
Fisch kabutt, sagt jemand. Genau diese Sprache sprechen alle auf Deck: Universalsprachlich und allgemeinverständlich. Assoziatief und unendlich leicht. Und ein bisschen wie in jenem Land, dessen Sprache wir nicht sprechen, noch verstehen: Wo wir nur zuhören können, wie die Sprache tönt. Und nicht: Was gesprochen wird, inhaltlich. Das ist in Ländern wo die Leute - sagen wir - nicht sprechen, sondern singen. Alles ganz wie an diesem wundervollen Herbstnachmittag auf der Fähre zwischen Friedrichshafen und Romanshorn. Auf dem Rückweg in die Realität.

Und irgendwie tönt dann auch das Ostschweizerische in Romanshorn wieder ganz angenehm. Auch ein bisschen wie gesungen und wenn man genau hinhört: Alles bloss unverständliches Kauderwelsch. Und irgendwie verdammt unwichtig was da gesagt wird. Auf der Heimfahrt im Zug: Zeitung weglegen, der See verschwindet langsam, die Mädchen singen und spielen auf Mobiltelefonen dazu einfältige Melodien, die Alten summen leise, der Zug stampft den Rhythmus.

Alles Musik an diesem Sonntag.

 

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