Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone.

Von Matthias Kuhn

 

«Ausweitung der Kampfzone» ist eigentlich das Gegenteil eines Hollywoodfilmes. Beschränkung auf die Schattenseite des Lebens. Und deshalb vielleicht: Wie das Leben wirklich ist? Und nicht: Wie es sein könnte, wenn es so wäre, wie man sich das wünscht, Happyend inkl.? Sehr realistisch alles.

Kommt wahrscheinlich allen jetzt irgendwie bekannt vor: Die (mindestens) zeitweise berufliche und soziale - eigentlich vor allem sexuelle - Totalmonotonie, oder vor allem -abstinenz. Alles läuft irgendwie, aber man hat das Gefühl alles steht still. Houellebecqs Ich-Erzähler, ein junger Informatiker, läuft in diesem Gleichschritt, hat sich alles so ergeben über die Jahre. Schicksal oder nicht: Wahrscheinlich sieht er zuwenig gut aus. Sexuell zu wenig anziehend. Er selber denkt sicher, dass das der Hauptgrund ist für alles. Und auch das würde er sicher unterschreiben: Ohne Sex kein Leben.

Schnelldurchlauf. Sex. Weil er keinen Sex hat, lebt seinen Frust mit masturbieren aus. So einfach geht das. Und dann, schon perfider: Er ergötzt sich an Tisserand, einem Kollegen, der noch ärmer dran ist als er selber, weil: Tisserand ist hässlich und Jungfrau.
Arbeit. Vom Arbeiten kriegt er eine Herzbeutelentzündung und ist arbeitsunfähig. «... in Wirklichkeit habe ich überhaupt keine Angst gehabt, sondern nur das Gefühl, dass ich in den nächsten Minuten abkratzen werde. Das ist etwas anderes.» Typisch: nicht mal Angst. Später hat er Depressionen. Am Arbeitsplatz steht das Schild BIN KRANK auf den Schreibtisch.
Leben. «Freitag und Samstag habe ich nicht viel gemacht; sagen wir, ich habe meditiert, falls es für so etwas eine Bezeichnung gibt. Ich erinnere mich, dass ich über den Selbstmord nachdachte, seine paradoxe Nützlichkeit.»

Ein Wunder eigentlich, dass er sich nicht umbringt, denkt man: Denn sonst überlegt er ja auch so messerscharf.
Die insgesamte Einsamkeit, Verzagtheit und Melancholie - und vielleicht doch auch die Selbsterkenntnis - führen den Informatiker schliesslich zum Psychiater. Nützt irgendwie alles nichts denn die Ausweglosigkeit seines Lebens wird bei aller Analyse noch deutlicher. Eigentlich auch wieder nicht erstaunlich.

Zum Schluss fährt der Informatiker in die Ardèche: Eine Reise in die Hoffnungslosigkeit. Immerhin auf der Suche nach einer Quelle: «Ich fahre noch etwas tiefer in den Wald hinein. Auf der anderen Seite dieses Hügels, sagt die Karte, sind die Quellen der Ardèche. Das interessiert mich nicht mehr; ich fahre trotzdem weiter. Und ich weiss nicht einmal mehr, wo die Quellen sind; alles ist jetzt einander gleich. Die Landschaft ist jetzt so sanft, so freundlich und so froh, dass mir die Haut wehtut. Ich bin mitten im Abgrund. Ich spüre meine Haut wie eine Grenze; die Aussenwelt ist das, was mich zermalmt. Heilloses Gefühl der Trennung; von nun an bin ich ein Gefangener in mir selbst. Die sublime Verschmelzung wird nicht stattfinden; das Lebensziel ist verfehlt. Es ist zwei Uhr Nachmittags.»
Noch einmal auf die Uhr geschaut. Wenigstens in der Natur draussen. Soviel Hoffnung muss sein. Am Ende.

Stimmt vollkommen: Was die Kritik den «gnadenlos sezierenden Blick » genannt hatte. Keine Tabus, nirgends. Und messerscharf und klar alles. Und die Kehrseite der Happy-End-Geschichten, wo man am Schluss ein paar Tränen vergiesst. Hier ist man ausgetrocknet und kann doch nur denken: Dass alles wirklich so ist, wie Houellebecq schreibt. Sagen würde man es sicher nicht so. Zu hart. Zu desillusionierend.

 

Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone. Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg.

 

Beurteilung   

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