Die menschlichen Feinde - Franz Wenzel und das Theater
von Hanns Stenzel
Beilage Zwei: Brief von Franz Wenzel an David Steinweg

 

 

mein lieber steinweg

herzlichsten dank für den durchgehenden kommentar, welcher viel weit- und durchblick verrät und den praktiker als schauspieler blossstellt, der nämlichst sofort sieht, wo zugunsten einer besseren spielbarkeit der hebel anzusetzen ist. wir werden wohl genug zeit finden, vorher und in frankenland selbst, dem stück den nötigen schliff zu geben. die herren walker und daniels allerdings, mein lieber steinweg, sind bereits engagiert: für zwei stallknechte (scotch or irish origin?) schienen sie mir ordinär genug. hätte wir zwei gräfliche, rundherum blaublütige, mitspieler gebraucht, klar dass ich dann auf die herren fiddich und deveron hätte rücksicht nehmen können (und wollen).
[...] dazu muss und kann ich sagen, deine erzüchterischen deutungsverfluche sind so falsch nicht, denn allerdings schwebte mir ein ähnlich transparenter pädaktischer und didaphiler hintergrund vor. ausserdem haben die dichter nie nichts zu den deutungen, die man ihrem schreiben angetan hat, zu sagen gehabt. obwohl eigentlich alles schreiben deuten ist: von der wellt. genug.
[...] lass mich also nun ein paar gewichtigste versäumnisse nachtholen und die entsprechenden zitate liefern.

die nachschrift (eine liste):
1. zum beispiel hätte ein motto vorangestellt werden müssen, weil ein motto unglaublich die seriosität eines solchen theatralen unternehmens steigert. das motto: «the only thing we know about henry porter is, that his name wasn't henry porter.» solches zur kenntnis, solche erklärung an den leser hätte das stück ungemein verschärft.
2. bevor der teufel im ersten akt aus dem haus trat, eben als plutos erzählt hatte, dass er ihn in der küche gesehen habe, hätte aus dem haus ein riesenkrach ertönen sollen, als dessen folge der teufel gewissermassen vom hauptportal ausgespuckt worden wäre (pech- und schwefeldämpfe [...]). in dem bruchteil einer sekunde, bevor die gesellschaft des teufels ansichtig geworden wäre, hätte plutos geschrien: «das hat uns noch gefehlt! eine bombe!»
3. ganymed hätte nach diesem ersten (vergeblichen) kampf gegen den wahrlich gehörnten teufen den ausdruck prägen sollen: die vorhersehbare wirkungslosigkeit.
4. die halb-prinzliche abkömmlingen hätte im zweiten akt, vom fischer verfolgt, sich einmal wehren sollen, als zeichen für die erwachende selbständigkeit. hebe hätte sie zurechtgewiesen. das mädchen darauf: «die araber waren mir gegenüber auch nicht korrekt!» na ja: ewige widerrrede!
5. ebenfalls im zweiten, das heisst im müssiggängerischen akt, hätten nach ersten plänen junge mädchen zuhauf auftreten sollen [...]. der diener, der sie in den park geführt hätte, hätte jede einzelne vorgestellt (name, vorname, hobbies usf.) und dann die herren wählen lassen. «für alle fälle stefanie.» (plutos) «am liebsten marlene.» (phanias) wir fragen uns warum da ganymed nicht mittut? sind ihm die hände gebunden, ist er krank (mangelkrankheiten führen oft zu lustlosigkeit und gliederschmerzen!), wird er langsam alt und mondosam? (fragen über fragen in dieser sache.)
>6. als daraufhin der schönen, stolzen hebe ein junger mann angeboten wird, sagt sie nur: «nein! mach dich nicht lächerlich! ich könnte ohne weiteres seine mutter sein.»
7. dann ging im dritten akt der name des jungen, gutgewachsenen liebhabers des halb-prinzlichen mädchens verloren: jean-michel, und mit seinem namen auch der gehauchte seufzer der infantin, der mir jetzt noch in den ohren säuselt: «oooh, jean-michel.» (das lange j- (sch-) und -ch- (-sch-) beachten!)
8. ursprünglich wäre auf dem anwesen auch ein mord vorgesehen gewesen, nur ist dann plötzlich jene person unauffindbar gewesen (man hätte sie gebeten draussen zu warten!), der das publikum die opferrolle zugetraut und deren tod hiemit von der menge sanktioniert worden wäre. der mörder (ganymed, plutos, phanias?) hätte zuerst natürlich von der gesellschaft verdammt werden müssen. er hätte sich allerdings gerechtfertigt: «das töten ist ein akt, der fast religiös ist, den man zelebrieren sollte.» mit den folgenden worten an den toten hätte hebe schliesslich verständnis für den mörder erreicht: «sein tod hat ihn vor einem schlimmeren ende bewahrt.» darauf einer aus der runde zum mörder: «seht ihn euch an, ein mann der aus einem traum erwacht.»
9. angesprochen auf den mord im park, hätte sich wenig später einer der küchenburschen verraten und schliesslich den grausamen mord zugeben müssen (motiv: eifersucht). auf die frage, was nun mit ihm geschehe, er sei doch noch so jung (na, na, kennen wir doch, diese tour), hätte ganymed, gerade von einem schrecklichen verdacht befreit, der auf ihm und plutos und phanias gelastet hatte, einen schritt vortretend, gesagt: «ich bin zu betroffen, um noch klar und präzise, und vielleicht auch fair zu sein.» tönen so nicht die worte eines mannes!
10. eigentlich hätte in jenem stürmischen vierten akt ein kleiner verfilzter gnom auftauchen sollen, den alle aufs abscheulichste verlacht hätten, er hätte mit folgenden worten die eigene verteidigung ergriffen (was ihn allerdings nichts genützt hätte): «jawohl, gentlemen, ihr sehr vor euch, in blauen jeanshosen und bösem elend, den ruhlos irrenden, verbannten, mit füssen getretenen und leidgeprüften rechtmässigen könig von frankreich.» logisch, dass ihm keiner glaubt.
11. überhaupt religion. phanias hat im letzten akt verpasst zu sagen: «das schlimme an der religion ist, dass ich nicht lügen darf.» es fragt sich: ist phanias religiös und hat deshalb nicht gelogen? und: was hätte er gesagt, wenn er hätte lügen dürfen?
12. zu guter letzt hätte auch paul der scotch-terrier noch einmal auftreten wollen, denn ich hatte seinem besitzer, dem international bekannten filmhundedresseur louis genou, versprochen, dass paul (auch im zustand unmittelbarer erregtheit) am schluss noch ein letztes mal zum einsatz kommen sollte. mit genou besteht ein vertrag, ich kann den liebreizenden paul also nicht rauswerfen!

[...]

mit den besten grüssen: franz wenzel

 

 

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