Nochmals Sprachtheorie - mit erstmals veröffentlichten, überraschenden semantischen Feldforschungsergebnissen aus dem Square Serpollet |
Aufgefordert, diese Kolumne zu schreiben, fragte ich mich, was zum vorgegebenen Thema Sinn macht. Kuhn (der Wortwerker) klopfte die Wörter Urlaub und Ferien ab. Er machte sich Gedanken über das Gemeinsame und das Verschiedene, wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, listig künftige Kolumnisten zu konditionieren. - Kann es das gewesen sein? Nein. Kann es nicht. Mangels solider semantischer Grundlage. Erlauben Sie mir deshalb den Versuch, diese nachzuliefern.
Zwei Trugschlüsse - der erste ... Sie und ich - wir gebrauchen Wörter mit für uns klar definierten Inhalten (meinen wir). Wir gehen davon aus, dass die andern über identische Inhalte verfügen.
... und der zweite Sie und ich, Gesprächspartner/innen für den alltäglichen Hausgebrauch, wir bedienen uns bei jeder Gelegenheit metaphorischer Sprache. Wir schalten vor den realen Sachverhalt ein Bild, verstecken das Gemeinte hinter dem Gesagten und meinen treuherzig, es werde in unserem Sinn wieder hervorgeholt.
Erste theoretische Folgerungen ... Manchmal ist Linguistik hilfreich, manchmal verstellt sie die Welt. Manchmal klären Bilder alles, und manchmal pinseln sie die Welt zu. Kollektive wie individuelle Geschichte mit ihren Konnotationen (erster Trugschluss) kann man nicht ausradieren. Und: Bezüglich metaphorischen Sprachgebrauchs von normiertem Verständnis auszugehen (zweiter Trugschluss), würde den unverbesserlichen Idealismus des braven Mannes von La Mancha überbieten. Lassen wir es also.
... und elementare Erkenntnisse aus der Feldforschungsstudie Square Serpollet Vielleicht haben wir die Frage nach der Denotation zu wenig hartnäckig gestellt: Was heisst Urlaub eigentlich? - Die folgenden Erkenntnisse verdanke ich ausgiebigen Studien im grossstädtischen Soziotop Square Serpollet zwischen der Rue des Cloys und der Rue Marcadet in Paris. Auf einer Parkbank liegend sah ich dem Spiel der Blätter über mir zu, zwischen ihnen der Himmel von Paris, meine Augen folgten den stets sich verändernden Wolkenformationen, früh im Jahr sah ich, wie die Blätter aus den Knospen drängten, sich entwickelten, ein verlässliches Dach bildeten, sich gegen Herbst verfärbten, mir entgegentanzten, bis das Dach wieder licht war. Ich gab mir Rechenschaft über die ur-eigene Rhythmik dieses Vorgangs. Und ich lernte wieder, wie ein Kind das Wort beim Wort zu nehmen (anstatt über präfixoiden Zusammenhängen zu brüten): Ur ... im Sinn von original, von Anfangszustand - und -laub im Sinn von (bot.) Laub. - Mit einem Mal (ich trug Ankunfts- und Verweilzeit auf der Bank schon längst nicht mehr in das Forschungsprotokoll ein) hatte ich die Gewissheit, die tiefste Bedeutung des Wortes Urlaub begriffen zu haben.
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