19940122 betrifft frankreich 2

 

 

 

mit der geschwindigkeit des gewitters musste ich heute nachmittag noch warten. es ist wie immer: ich durfte dem schönen mammon nachlaufen. auf dass aus meiner geldbörse einmal etwas richtig erwachsenes wird. etwas erhabenes allemal. den gletscher lassen wir. er passt nicht nach frankreich, wenn wir ehrlich sind. wenigstens nicht in den süden. und schon gar nicht im sommer. aber das mit dem gewitter ist der profaneität zweiter streich. also pflegt sich das gewitter durchschnittlich um zehn bis zwölf meter in der sekunde zu bewegen. dies sind natürlich mittlere werte, die aus einem deutschen katalog für geisterwissenschaften stammen. was die académie française dazu meint, müsste noch erfragt werden. nur denke ich, dass dorten unser französisch eher mit verwunderung aufgenommen würde. oder wie sollen wir fragen. etwa so: avec laquelle vitesse un orage (une tempête, quand vous voulez) se déroule dans le ciel, chers damesmessieurs? und dann werden sie uns nicht einmal antworten. es ist nämlich so: die académie française hat noch gar keinen fax (faxen machen: faire des pitreries oder singeries). da wären wir dann rechtmässig am arsch, was man auch zu deutsch nicht überall zu sagen pflegt (hôpitaliser la language...). ein gewitter hat mit wolken zu tun. seien wir ehrlich. nur stellt sich da die frage, wie weit wir in diesem fach fortzuschreiten im stande gewillt sind. auf jeden fall kann ich dir die reisegeschwindigkeit von haufenwolken angeben: sie nennten sich, wenn sie zeit hätten, im fachjargon kumulus, haben nichts mit einem schweizer grossverteiler zu tun und schon gar nichts mit dessen verbilligungskarte, bewegen sich aber flink mit immerhin fünf sekundenmetern. dies im winter auf 1325 meter über land, im sommer müssen sie schon etwa 1700 meter hochschweben, um diesen wert zu erreichen. der sommer interessiert uns ja besonders. federwolken habens einfacher: mit fünfunddreissig metern in der sechzigstelminute auf zehntausend metern sind sie unterwegs. eine arg schwindelerregende fortbewegung. die federn nennen sich zirrus. aber das weisst du sicher noch aus deiner allgemeinbildung. bei gewittern kommen auch die stromschläge und suchen dich heim. manchmal sagt man nachher nichts mehr, vor lauter erstaunen. und im sommer wird es auch als eine erlösung empfunden. aber lassen wir vorerst die religiösen themen. zum gewitter nur noch eins: der regentropf fällt mit fünf metern senkrecht nach unten. man weiss nicht so recht, woher er kommt, und zu wes behufs er sich kopflos in die erde senkt. er schlägt sich rücksichtslos auf pflanzenstiele, blätter oder gräser und wirbelt schlamm auf. er ertränkt die regenwürmer, die uns doch so ans herz gewachsen sind. der regentropf ist ein wüster gesell. er ist hinterlistig, unsteuerbar und brutal. vereinigt er sich mit anderen tropfen, hat man keine chance meer. aber du weisst. auch laben kann man sich an ihm. wenn er geläutert durchs gestein hervorlugt und sich in flaschen schleicht die badoit heissen oder gekühlt sogar perrier. hauptsache bleibt aber, dass man ihn nicht zu sehr lobt. er wird sonst übermütig und frech. darum mein freund. stille stille, seist du, abendruh. nur eins noch: wenn der tropf so sieden würde, wie das stickoxyd, dann bräuchten wir keinen herd. denn schon bei minus 142 grad lässt sich damit ein teelein kochen. nicht schlecht. ich denke, dass du mit diesen angaben schon viel wert des wissens erkannt hast und denke, du bist auf die ferien nun eigentlich gut vorbereitet.

1 grusz: steinweg

 

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