19940709 betrifft strikte flexibilität

mein lieber froind

 

 

die fehlende planung meinerseits war kein vorsatz, eher schlamperei. das tut mir leid. du kannst aber sicher sein, dass wir den bus nicht revidieren werden. denn der läuft. wenn nicht: dann reparieren wir ihn. oder lassen ihn repatriieren vom touring clöp. das kann ich nun willsgott nicht planen. oder: ich will nicht daran denken. du weisst wie lange man schon in genf auf einen zündverteilerrotor warten muss. erde, luft und wasser, auch das öl, sind kontrolliert. der strom stimmt. das scheibenwasser auch. der flickkoffer mit dem werkzeug muss aber trotzdem mit. du hast recht. der muss doch tatsächlich noch von der ds rübermarschieren. und fett haben wir einen ganzen honichtopf noch aus den masuren. du weisst schon: türhalterungen einfetten, damit sie besser geschmiert sind. das zum bus. und kein weiterer kommentar...

> wann fahren wir? nachtz um zehne, halbe elfe. ist das gut so? und dann gehen wir auf die autobahn. wer will schläft gut. wer will schläft weniger gut. und wir fahren gegen genf, um caesar zu überrumpeln, in der nacht. dort holen wir motorenprofiant: bleifreies benzin, weil billiger im alpenland als in frankreich. und wenn du willst, darfst du bereits bis bern belp wasser trinken: rhäzünser. oder brötchen essen. aber das lassen wir nun beiseite. wirklich. ich denke, dass es reicht, in genf wasser zu lassen. bis dort können wirs verdrücken. denke ich. die kinder sind nicht mehr die kleinsten und du und jean, ihr seid noch nicht die ältesten. wenn ein notfall eintritt: wir wollen doch strikte flexibel bleiben, nicht wahr. wir halten an, wenn was ist.

> das war nun die erste pause. in genf. bis dort haben wir drei stunden. ziemlich genau. dann ist es eine oder halbe zweie. und noch vor carouge wechseln wir die fronten und fahren um den lac léman herum. in gebührlichem abstand. geplante richtung: der monn blang. dorthin wollen wir aber nicht. der tunnel dort ist bekanntlich zugemauert. und grillieren wollen wir auch nicht. sorry, wegen der geschmacklosigkeit. dann kommt annecy, dann chambéry und grande direction grenoble. von dort schreiben wir dir eine karte, wenn du willst: grö-noble. und dann ist meine landkarte zu alt. will heissen: es gibt nun eine neue verbindungsstrasse auf die autoruth dü soléi von lyon richtung valence, montélimar, organge, nîmes, montpellier, béziers. dort wären wir dann schon ein bisschen zu weit, und fahren zurück und verlieren unseren ifs. scheisse. das zur route. und nun zur länge der route von genf aus? ok. ich rechne, so wie du früher im bambino und dann im kübelwagen. damit habe ich mühe: denn eigentlich bist du der rechner. und ich der fahrer. jawoll. aber ich versuchs trotzdem: es sind also von der calvinstandt bis zur autobahnausfahrt pezenas ungefähr 503 kilometer. ich glaubs zwar selber nicht, dass das nur sowenige kilometer sind, aber ich habe zweimal nachgerechnet. nun also: plus dreihundert kilometer nach genf. macht achthundert. nun von orange nach montpellier habe ich vielleicht auch fünfzig bis hundert kilometer verhängt. es wäre nicht schlecht, wenn du einmal nachrechnen könntest.

> das benzin im tank sind 45 liter. geteilt durch einen verbrauch von, gut gerechnet, elf litern, das macht eine gewisse sicherheit, wenn man also alle dreihundertfünfzig kilometer tanken geht. das heisst: wasserlassen, wasserzusichnehmen und beine vertreten. jean darf rauchen. ich habe ja aufgehört. scheisse. denn ich rauchte immer gern in solchen momenten. vielleicht werde ichs mir für die ferien wieder ein bisschen angewöhnen. vielleicht aber auch nicht. ich weiss es auch noch nicht. was die zeiten anbetrifft muss ich schon sagen, dass wir, wenn wir um zehne starten, bereits verdammt weit sind, wenn der tag anbricht. aber ich denke - trotz dem einkalkulierten risiko von fehlenden zweihundert kilometern - es ist angenehmer drei vier stunden vor der haustüre oder in einem schattigen südfranzösischen café auf die schlüsselübergabe zu warten - oder in eine klimatisierte süpèr ü - als in einem brütenden autocamión. einverstanden? und dann magst du dich sicher noch erinnern an polen: auf einmal war da kein wegweiser. und wir mussten noch einmal über die holprigen strassen der kleinstadt fahren und werweisen, ob der feldweg nun wirklich richtig ist. die gefahren, weiss du, und die schnepfen, sie warten überall. das ist wahr. dann steigt die gefahr von aufkeimenden missstimmigkeiten und anmassenden behauptungen, wie: dort ist norden. nein, westen. unzoweiter. [...]

> wir sitzen nicht im kreis und halten nicht die hände. dafür ist es viel zu warm und du hast die gitarre mitnehmen zu dürfen nicht beantragt. right? wer kein christlich liedgut kennt, darf auch nicht im kreis sitzen. übrigens ist dafür der bus auch viel zu schmal. und es würde den pfahrer ablenken. was nützen einen dann noch die sitzereien im kreis. und das händchenhalten. ich bin dagegen.

> schweizerlieder sind gut zur tarnung. niemand versteht sie und sie sind nichtssagend. wir verletzen also unser heimatland nicht. das wäre ja noch. da könnte ja jeder kommen ... ich schlage vor: «vrenelis gärtli», «von luzärn gege weggis zue» und «dei obä uf em bergli». wenn du ein paar appenzellerlieder mitnehmen willst. nanu. «min fattä ischt känn appezöllä». und das thurgauerlied hat auch nur eine schöne bridge. echt jazz, bodenständig nur der text (dafür umso mehr). besser noch als schweizerlieder sind tarnnetze für den bus. halten, umstellen, netz überwerfen «vier, drei, zwei, eins, ... , zu langsam. das machen wir noch einmal. und denkt daran, die konturen zu verwischen.» also doch: «vrenelis gärtli» oder «es wott es fraueli z'märit gah». einverstanden.

> so. das ist nun wirklich kein sporadischer schlachtplan mehr. und unser frühstück rennt nicht mehr durchs massife zentral. es liegt geschibelt und gestapelt abgepackt im kühlraum des champion, continent oder stoc. apropos stoc: der hat das billigste benzin in fronkreich. mindestens zwanzig rappen billiger pro liter. rappen, nicht centimes, mein lieber. da lohnt es sich doch, wie ein schwabe zu rechnen. oder wie ein schweizer. bins ja auch, zugegebenermassen.

> konflikte werden wir keine austragen auf der reise. es gibt keinen grund dafür. wir fahren in die ferien und freuen uns. es ist nicht wie beim zurückfahren im letzten jahr, wo es drei kilometer vor der genfer grenze zu sträzen anfing, wie wenn man in die schweiz käme (man bemerke den höhnischen zwischenton). dann sank die laune zusammen. und womit? mit recht! jawoll.

> ich hoffe, dass du das mit dem feindesland nicht ernst gemeint hast. sonst beantrage ich mein sturmgewehr zur verteidigung mitnehmen zu dürfen. inkl. notreserve von unterwäsche und essen. die munition und den kriegsvilliger. und beim bundesamt bestellen wir die strenggeheimen 1:25'000er karten von pezenas. ich würde in die hosen seichen, wenn wir die nicht schon im kasten liegen hätten ...

> ich hoffe, die angaben reichen für den moment und grüsze. steinweg.

 

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